Interview mit Dr. Stanislaus Wüst und Dr. Flavia Radke: PLLA als Biostimulator

PLLA als Biostimulator – Was wissen wir und worüber sollten Patienten aufgeklärt werden?

 

Die Kosmetische Medizin hat Dr. Stanislaus Wüst, den Autor des kürzlich veröffentlichten Manuskriptes zum molekularen Mechanismus von PLLA (https://doi.org/10.1111/jocd.16635) und Dr. Flavia Radke, eine langjährige PLLA-Anwenderin und Trainerin, zum Thema neuste Daten und Patientenkommunikation im Bereich der Biosstimulatoren befragt. Die Interviewpartner erklärten, vor dem Interviewstart, dass alle verwendeten Begriffe, als geschlechtsneutral zu werten sind.

Dr. Flavia Radke und Dr. Stanislaus Wüst.

KM: Dr. Wüst, Sie heben vor Kurzem gemeinsam mit Dr. Avelar und Dr. Nabhani ein Manuskript veröffentlicht, indem Sie über neue Erkenntnisse über den Wirkmechanismus von Poly-L-Milchsäure in seiner Rolle als Biostimulator berichten. In den vergangenen Jahren hat sich auf diesem Gebiet offensichtlich viel bewegt. Können Sie bitte die wichtigsten Punkte für uns zusammenfasen?

 

Dr. Wüst: In der Tat, das Feld ist sehr dynamisch. PLLA wird seit 25 Jahren als Biostimulator in der ästhetischen Medizin verwendet. Dabei werden PLLA-Partikel im Mikrometerbereich als Suspension subdermal injiziert. Über die Zeit werden die Partikel dann von Körper absorbiert. Bisher ist die Forschung davon ausgegangen, dass die biostimulierende Wirkung hauptsächlich durch eine Fremdkörperreaktion und eine daraus resultierende kontrollierte Entzündungsreaktion hervorgerufen wird.

 

Ganzheitlich betrachtet ist das allerdings nur ein Teil der Vorgänge. Die neusten Publikationen in dem Feld deuten darauf hin, dass PLLA verschiedene Zelltypen direkt aktiviert. PLLA allein – also ohne das Zusteuern des Immunsystems – bringt Fibroblasten dazu Kollagen und Elastin zu synthetisieren und so die Extrazelluläre Matrix wiederaufzubauen. Auf der anderen Seite gibt es die Makrophagen des Immunsystems. Ich gehe davon aus, dass sie durch den Kontakt zu PLLA in die M2 Differenzierung gehen. Das heißt, dass sie antiinflammatorisch wirken und vor allem die Regeneration fördern. Das passiert z.B. durch die Ausschüttung von TGF-ß, einem Signalmolekül, dass unter anderem das Fibroblastenwachstum und die Adipogenese fördert. Darüber hinaus sekretieren M2 polarisierte Makrophagen Interleukine 4 und 13, ebenfalls Signalmoleküle, die den Gewebeaufbau ebenfalls begünstigen.

 

Wir haben auch deutliche Hinweise, dass PLLA auch direkt die Adipogenese ankurbelt und dadurch der Volumenaufbau direkt gesteuert werden kann. Diese Erkenntnisse unterstreicht auch die, vor ein paar Tagen veröffentlichte SPLASH-Studie von Dr. Sabrina Fabi, die eine signifikante Volumisierung von sogenannten „Hip Dips“ durch die Anwendung von PLLA dokumentiert hat.

 

Das sind meines Erachtens auch die Haupterkenntnisse unserer Publikation. Auch wenn sich bei weitem nicht alle Zusammenhänge erklären lassen, können wir Anhand der vorliegenden Daten sagen, dass die Wirkung von PLLA antiinflammatorischer Natur ist. Sie unterdrückt Entzündungen und fördert die Gewebegeneration.

 

KM: Vielen Dank Dr. Wüst. Sie sprechen hier also von einem Hypothesenwechsel im molekularen Mechanismus von PLLA. Versuchen wir aber nun diese Erkenntnisse in den Praxisalltag zu tragen. Dr. Radke, sie haben die Entstehung des Manuskriptes mit Spannung verfolgt. Sie stehen mit Dr. Wüst im engen wissenschaftlichen Austausch und konnten sich so einen guten Einblick in die neuen Erkenntnisse verschaffen. Als plastische Chirurgin und Trainerin im Bereich der Injectables arbeiten Sie sehr viel mit Patienten aber auch mit ärztlichen Kollegen. Können Sie für unsere Leser zusammenfassen, wie die Patientenkommunikation nun angepasst werden sollte?

 

Dr. Radke: Meiner Meinung nach ist und bleibt der wichtigste Punkt, dass die Patienten gut aufgeklärt sind, sich mit der Therapie auseinandersetzen und sich dann bewusst für oder gegen eine Behandlung entscheiden können. Die zunehmende wissenschaftliche Datenlage ist hierfür unerlässlich. Bezüglich der Patientenkommunikation der ästhetisch arbeitenden Kollegen würde ich empfehlen auch auf den Wirkmechanismus einzugehen. Die publizierten Daten liefern uns eine hervorragende Vorlage hierzu. Persönlich würde ich dem Patienten den Wirkmechanismus etwa so beschreiben:

 

  1. Der Effekt eines Biostimulators setzt langsam ein. Es dauert einige Wochen bis die ersten Ergebnisse sichtbar werden. Diese werden aber natürlicher aussehen, weil körpereigenes Gewebe aufgebaut wird. Diese Aufklärung ist essentiell, da Patienten von anderen Therapien gewohnt sich schnellere sichtbare Effekte zu erhalten. Das Management der Erwartungshaltung ist hier besonders wichtig.
  2. PLLA fördert die Regeneration auf unterschiedlichsten Ebenen und wirkt entzündungshemmend. Die Wirkung ist lokal begrenzt und kann durch den Injektor gesteuert werden.
  3. PLLA aktiviert verschiedene Zelltypen in unserer Haut und wirkt sich damit auf die gesamte extrazelluläre Matrix aus:
    1. Die Haut-Fibroblasten. Zellen, die für die Herstellung des Bindegewebes der Haut zuständig sind, vermehren sich und bauen das Bindegewebe wieder auf nachdem sie mit PLLA in Berührung gekommen sind.
    2. Die Makrophagen. Zellen des Immunsystems, die über Entzündungen (z.B. Rötungen) der Haut entscheiden, verändern Ihr Programm nach Kontakt zu PLLA. Sie senden Signale aus, die Entzündungen unterdrücken und den Gewebeaufbau fördern.
    3. Die Präadipocyten. Die Vorläufer von Fettzellen, bilden nach Stimulierung durch PLLA neues Fettgewebe aus. Je nach Behandlungsregion kann dadurch ein volumisierender Effekt erzeugt werden.
    4. Die Zellen kommunizieren miteinander und steigern so nochmal die Wachstumseffekte.

 

Basierend auf der Publikation von Dr. Wüst habe ich auch eine grafische Darstellung erarbeitet, die die Vorgänge simplifiziert darstellt. Sie wird mit dem Interview veröffentlicht.

Zum Schluss möchte ich nochmal die Wichtigkeit der Aufklärung betonen. Der Patient muss in diesem Kontext eindringlich auf die möglichen Nebenwirkungen hingewiesen werden. Auch sollte klar kommuniziert werden, was die Limitierungen der Behandlung sind. PLLA kann z.B. Hautlaxizität vermindern, aber es kann keinen Gewebeüberschuss entfernen.

 

KM: Das ist sehr hilfreich für die Ärzte und steigert die Qualität der Aufklärung. Vielen Dank. Könnten Sie beide zum Schluss noch einen kleinen Überblick über die Zukunft von PLLA in der Ästhetik geben? Was bringt uns die Zukunft?

 

Dr. Wüst: Die Entwicklungen in diesem Feld sind wirklich spannend. Ich denke, dass wir in den kommenden Jahren sehr viele weitreichende Entdeckungen sehen werden. Einer der Hauptaspekte ist die Frage, wie die biostimulierende Wirkung eigentlich vermittelt wird. Einen ersten Hinweis lieferte uns die Gruppe um Wen Jin, Kai Li und Wei Cai indem sie den molekularen Lactat Transporter Mct1/4 als einen der Hauptregulatoren für PLLA-vermittelten Effekte identifiziert haben. Ich kann mir vorstellen, dass die Aktivierung solcher Moleküle und generell von biostimulierenden Signalwegen ein wichtiges Standbein der regenerativen Medizin sein wird und weit über die reine Ästhetik hinauswachsen wird.

 

Daneben würde ich noch gerne das Werk der Gruppe um Suichi Ogino und Naoki Morimoto erwähnen. Die Gruppe beschäftigt sich mit Adipogenese und konnte in verschiedenen Tiermodellen zeigen, wie PLLA-Implantate das Fettwachstum beeinflussen. Ich gehe stark davon aus, dass wir biostimulierende PLLA-Implantate auch bald in der rekonstruktiven Mammachirurgie erleben werden.

 

Was die injizierbaren PLLA-Implantate angeht, so denke ich, dass ich der generelle Aufwärtstrend der Anwendung von Biostimulatoren in der Ästhetik weiter fortsetzen wird. Biostimulatoren und vor allem PLLA sind feste Bestandteile von ästhetischen Portfolios geworden.

 

Dr. Radke: Ich denke, dass wir mit der Biostimulation und vor allem bei PLLA noch recht am Anfang stehen. Obwohl die Produkte seit 25 Jahren bekannt sind, ist ihre Anwendung in der Ästhetik gerade in Deutschland noch nicht so stark verbreitet. Dies wird durch die aktuelle Marktanalysen aufgezeigt. In den letzten Jahren wurden neue Behandlungsareale zugelassen, wo unterschiedliche Therapieeffekte erzielt wurden. In einigen Bereichen kommt es eher zu einer besseren Anheftung und damit Straffung des Gewebes, in anderen eher zu einer Voluminisierung nach Kollagenbiostimulation. Die neusten veröffentlichen Studien legen dar, dass der komplette Umfang des Wirkmechanismus noch nicht vollständig eruiert ist. An eine M2 Polarisierung und damit eine komplette Regenerationskaskade haben wir vor einigen Jahren noch gar nicht gedacht. Daher ist die weitere Forschung auf diesem Gebiet sicherlich sehr interessant und vielversprechend. Ich denke es gibt auch noch viele weitere Aspekte deren Auswirkungen noch intensiver untersucht werden sollten, wie z.B. die Injektionsart und Weise. Gibt es einen Vorteil der spitzen Injektion gegenüber der stumpfen Technik?

 

Was die Produktentwicklung angeht, so wäre es interessant, ob es eine PLLA-Formulierung gibt, bei der auf die Rekonstitution verzichtet werden kann? Eine ähnliche Entwicklung haben wir ja bereits bei den Neuromodulatoren erlebt. Dies hätte in Hinblick auf die Patientensicherheit aufgrund von genauerer Dosierung und Fehlervermeidung einen hohen Impact.

 

Ich bin auf jeden Fall sehr gespannt, auf die zukünftigen Entwicklungen in der Biostimulation.

 

KM: Frau Dr. Radke, Herr Dr. Wüst, vielen Dank für das spannende Interview.

 

Zu den Autoren:

 

Dr. Flavia Radke ist Oberärztin für plastische und ästhetische Chirurgie und seit 15 Jahren auf diesem Gebiet tätig. Als ästhetische Expertin und internationale Trainerin bildet sie Ärzte auch im Bereich der konservativen Ästhetik aus und engagiert sich zudem aktiv in der wissenschaftlichen Forschung.

 

Dr. Stanislaus Wüst ist ein unabhängiger Berater mit Industrieerfahrung als Medical Science Liaison in der ästhetischen Dermatologie und Projektleiter für klinische Studien. Als Wissenschaftler fokussierte sich Dr. Wüst auf die Erforschung von Alterungsprozessen in der Muskulatur am Max-Planck Institut für Herz- und Lungenforschung, der Brandeis University und dem Max-Planck Institut für Biologie des Alterns.

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