Nach Kryolipolyse entstellt: Der Fall Evangelista
Die Schlagzeilen um Linda Evangelista ebben nicht ab. In einem Posting auf Instagram bezeichnet sie ihren Körper als „brutally disfigured“. Mehrere Kryolipolyse Behandlungen hätten zu einer paradoxen Reaktion und damit zu einer Vermehrung von Fettgewebe geführt. Sie sei nicht über die Risiken aufgeklärt worden, zwei korrigierende Operationen hätten keine Verbesserung gebracht. Jetzt klagt sie und zahlreiche Medien berichten.
Was steckt hinter den Headlines, der Klage des Supermodels der 90er Jahre und ist die Kryolipolyse gefährlicher als gedacht? Dr. med. Mathias Reutemann ist Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie. In seiner Praxis Lamare in Magdeburg führt er seit vielen Jahren die Kryolipolyse durch. Im Interview erklärt er das Phänomen der paradoxen adipösen Hyperplasie (PAH) – und warum er seinen Patient*innen die Kryolipolyse dennoch guten Gewissens empfiehlt.
KM: Was ist paradoxe adipöse Hyperplasie und warum sprechen wir erst jetzt darüber?
- Reutemann: Neu ist das Thema nicht, die paradoxe adipöse Hyperplasie ist seit den Zulassungsstudien zur Kryolipolyse bekannt. Dabei handelt es sich um eine äußerst selten auftretende Komplikation, bei der nach der Kältebehandlung ein Zuwachs von Fettzellen im Behandlungsareal zu beobachten ist.
Seit das Verfahren der Kryolipolyse eingesetzt ist, kennen wir also das geringe Risiko. Wie immer, wenn Prominente betroffen sind, wird so ein Thema in den Medien hochgekocht. Deshalb war es wohl auch insbesondere in den Boulevard-Medien kurzzeitig sehr präsent.
KM: Wie häufig tritt diese Komplikation auf?
- Reutemann: Das Phänomen der PAH ist sehr selten. Ich setze die Methode bereits seit Jahren ein und mir selbst ist solch eine Reaktion auf die Kryolipolyse noch nie begegnet. Der Hersteller des Geräts, das Linda Evangelista nennt, gab an, dass bei 0,0051 % von 1,5 Millionen durchgeführten Behandlungen eine solche Rektion auftrat. Andere Studien sprechen von 0,025 %, der Hersteller des von mir eingesetzten Geräts von einer 0,0062-prozentigen Wahrscheinlichkeit. Das ist im Vergleich zu anderen Risiken ästhetischer Verfahren sehr gering.
KM: Kennt man die Ursachen der PAH?
- Reutemann: Die PAH wird in Studien beschrieben, dabei handelt es sich allerdings nur um Einzelfälle. Das Auftreten der paradoxen Reaktion nach einer Kryolipolyse ist so selten, dass sich aus den Beobachtungen keine statistisch gesicherten Aussagen treffen lassen. Warum, wieso, weshalb? Welche Gemeinsamkeiten gibt es bei den Betroffenen? Liegt vielleicht eine Stoffwechselerkrankung zu Grunde? Um diese Fragen abschließend zu beantworten, gibt es glücklicherweise einfach nicht genug Fälle. Es gibt aber Vermutungen. Eine davon ist, dass gar nicht die Kälte an sich, sondern der Unterdruck die Ursache ist. Bei der Kryolipolyse wird das Gewebe mit einem Vakuum angesaugt. Dieser Sog übt einen Reiz auf das Gewebe aus, was unter Umständen die dort vorhandenen Fettzellen zum Wachstum anregen kann. Demgegenüber stehen Million von Patientinnen und Patienten, die mit Vakuum behandelt wurden, aber keinerlei paradoxe Reaktion gezeigt haben.
KM: Wie wird eine PAH diagnostiziert?
- Reutemann: Bei der paradoxen adipösen Hyperplasie tritt vermehrtes Fettgewebe in dem Bereich auf, in dem der Applikator gesessen hat. Kurz nach der Behandlung ist das behandelte Gewebe üblicherweise geschwollen, das ist normal. Deshalb muss man auch mindestens 6 Monate warten, bis man eine PAH Diagnose stellen kann. Wenn dann eine geometrische, persistente Schwellung vorliegt, die auf vermehrtes Fettgewebe zurückzuführen ist, spricht man von einer paradoxen, adipösen Hyperplasie. Dazu ist es wichtig, Körperwerte wie Gewicht und Körperfettanteil vor und nach der Behandlung zu vergleichen. Wenn ein Patient nach der Behandlung 20 kg zunimmt, hat vermehrtes Gewebe am Behandlungsareal in der Regel andere Ursachen. Eine genaue Fotodokumentation hilft Behandler und Patient dabei, den Vorher-Nachher-Effekt nachzuvollziehen.
Liegt nach eingehender Untersuchung dann tatsächlich eine PAH vor, werden operative Verfahren eingesetzt, also eine Resektion des Fettgewebes vorgenommen. Dafür kommen Liposuktion oder, wenn im Bauchbereich behandelt wurde, eine Bauchdeckenstraffung in Frage. Diese Verfahren führen in der Regel zu einer Befundverbesserung.
KM: Können Sie den Fall Evangelista für uns einordnen?
- Reutemann: Allein anhand von Pressetexten und Schnappschüssen ist eine seriöse Einschätzung sicherlich nicht möglich. Was man durch die Berichterstattung weiß, lässt allerdings Fragen offen. Warum sind bei Linda Evangelista mehrere Stellen betroffen? Das vermehrte Fettgewebe tritt ja explizit in dem Bereich auf, in dem der Applikator gesessen hat.
Und warum wurde anscheinend in größerem zeitlichem Abstand wieder behandelt? Und schließlich, warum hat eine Liposuktion nicht zum Erfolg geführt? Da ist vieles hinter den Schlagzeilen ungeklärt geblieben.
KM: Was raten Sie Patient*innen, die jetzt durch die Schlagzeilen verunsichert sind?
- Reutemann: Generell gilt: Die Kryolipolyse ist ein sicheres und komplikationsarmes Verfahren zur Konturierung der Körperoberfläche. Aufklärung ist vor jeder Behandlung essenziell. So seltene Komplikationen wie die PAH werden zur Kenntnis genommen, aber spielen für die Entscheidung der Patienten kaum eine Rolle. Im Nachgang kann eine seriöse Aufklärung aber durchaus rechtliche Bedeutung haben. Nämlich dann, wenn es tatsächlich zu einer Komplikation kommen sollte. Durch die Berichterstattung in den Medien tritt diese seltene Komplikation sicherlich in den Vordergrund. Da muss man als Behandler das Risiko wieder richtig verorten. Man kann auch an einer Tafel Schokolade ersticken.
Zudem wird ständig von einer Schönheits-OP im Zusammenhang mit der Kryolipolyse gesprochen. Das ist so einfach nicht richtig. Bei einer Liposuktion ist das Todesrisiko höher als bei einer Leistenhernie. Beim Brazilian Butt Lift (BBL), bei dem Fett erst abgesaugt und dann in das Gesäß injiziert wird, stehen Risiko und Nutzen aus meiner Sicht in keinem Verhältnis. Die Kryolipolyse ist ein konservatives Verfahren, das nicht das Risiko einer Operation birgt. Ich bin sehr froh, dass ich das Verfahren als sinnvolle Ergänzung in meinem Portfolio habe. Die PAH ist so selten, dass ich guten Gewissens die Behandlung anbieten und durchführen kann. Alle invasiven Verfahren sind gefährlicher.
Gut beraten ist man als Patient bei approbierten Fachärztinnen und Fachärzten, die das Verfahren nicht deshalb einsetzen, weil sie kein anderes haben, sondern weil es am besten zur Indikation und zur individuellen Erwartungshaltung passt. In Kombination mit umfassender Aufklärung, Anamnese und Nachsorge, wird das Risiko auf beiden Seiten reduziert.
Herr Dr. Reutemann, vielen Dank für das Gespräch.