Originalie
Dirk Brandl, Volker Schrader
Kontroversen in der ästhetischen Medizin – Die Rahmenbedingungen 1: Gesellschaft und Identität des ästhetisch arbeitenden Mediziners
Controversies in aesthetic medicine 1. The frame conditions: Society and identity of the aesthetic working doctor
Keywords | Summary | Correspondence | Literature
Keywords
aesthetic medicine, identity and aesthetics, medical philosophy, social relevance aesthetics
Schlüsselworte
Ästhetische Medizin, gesellschaftliche Relevanz Ästhetik, Identität und Ästhetik, Medizinphilosophie
Summary
In Europe, aesthetic medicine has only low social acceptance, although patient numbers are increasing. The result of the low level of social standing, which is caused by conservative members of the medical profession, is to weaken the sense of identity of aesthetic practitioners. This article examines the reasons for the growth in patient numbers, despite the low level of acceptance, and shows ways in which identification with the field of aesthetic medicine can be enhanced.
Zusammenfassung
In Europa ist die gesellschaftliche Akzeptanz der ästhetischen Medizin gering, obwohl die Patientenzahlen steigen. Resultat der niedrigen gesellschaftlichen Bedeutung, die durch konservative Mediziner verursacht wird, ist eine Schwächung der Identität der ästhetisch arbeitenden Mediziner. Dieser Artikel untersucht die Ursachen für gestiegene Patientenzahlen trotz geringer Akzeptanz und zeigt Möglichkeiten auf, wie Identität zum Gegenstand der ästhetischen Medizin gesteigert werden kann.
Vorbemerkung
Die nun folgende Artikelserie schließt nahtlos an die Serie von Dr. Ilja Kruglikov an, allerdings befasst sie sich mit den Rahmenbedingungen der ästhetischen Medizin. Sie soll aber genauso wie die vorherige Serie zum Diskurs und zur Reflexion über die ästhetische Tätigkeit anregen. Deshalb werden manche Themen auch provokativ zugespitzt dargestellt. Die Autoren haben diese Serie erarbeitet nach Auswertung von mehreren Hundert Gesprächen zur Betreuung der Mitglieder des NETZWERK-Globalhealth einerseits und andererseits einer Reihe von Diskussionen, die während der Aesthetic Holidays 2013 auf Mallorca zu 3 Themen stattgefunden haben, welche die meisten ästhetisch arbeitenden Mediziner permanent beschäftigen: Die Identität zur ästhetischen Medizin, die Frage der Patientenkommunikation und der Arzt-Patienten Beziehung, sowie die Frage der Patientengewinnung. Insofern ist diese Serie eigentlich mehr eine Gemeinschaftsarbeit aller Mitglieder des NETZWERKs. Das erste Thema beschreibt die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen Ästhetik heute praktiziert wird.
Die gesellschaftliche Bedeutung der ästhetischen Medizin: Am Jenseits
Die gesellschaftliche Akzeptanz der ästhetischen Medizin bzw. von deren Behandlungen kann durchaus differenziert betrachtet werden: In den Staaten der neuen Welt, beispielsweise in den USA, Brasilien oder Venezuela, ist die Akzeptanz vergleichsweise sehr hoch, was u.a. daran abzulesen ist, dass die Patienten in ihrem sozialen Umfeld über ihre Behandlungen berichten.
In Europa hingegen, insbesondere in den deutschsprachigen Ländern, wird von den meisten Patienten nach Aussage ästhetisch arbeitenden Mediziner in der Regel nichts erzählt, oft nicht einmal dem eigenen Ehepartner oder der besten Freundin gegenüber. Dieser Unterschied wirft ein bezeichnendes Licht auf die gesellschaftliche Akzeptanz, denn wenn sie höher und die Ästhetik nicht tabuisiert wäre, könnte auch offen darüber kommuniziert werden. Die Forderung, dass es wünschenswert ist, die gesellschaftliche Akzeptanz der ästhetischen Medizin zu erhöhen und zu verbessern, kann wahrscheinlich von jedem ästhetisch arbeitenden Mediziner mitgetragen werden. Obwohl die gesellschaftliche Akzeptanz nicht adäquat vorhanden, geschweige denn gestiegen ist, steigt die Zahl ästhetischer Behandlungen trotzdem seit Jahren kontinuierlich. Die Ursachen für diesen Anstieg der Behandlungszahlen werden im Laufe dieser Artikelserie einer Analyse unterzogen, in diesem Teil ist zunächst ein historischer Exkurs vorgesehen.
Ursachen der gesellschaftlichen Nicht-Akzeptanz
Beschäftigen wir uns zuerst mit den Gründen für die geringe gesellschaftliche Akzeptanz. Dazu erscheint es sinnvoll, die Haltung der entsprechenden Meinungsbildner gegenüber der ästhetischen Medizin zu analysieren. In erster Linie sind hier die Medizin als Gesundheitssystem und die das offizielle vorherrschende Meinungbild prägenden Mediziner zu betrachten. Die ästhetische Medizin wird als Medizin von allen anderen Fachgruppen nicht akzeptiert und ausgegrenzt, weil sie nicht heilt im engeren Sinne. Ästhetische Medizin wird dadurch de facto aus dem Feld der Medizin ausgeschlossen. Sie dient lediglich und ausschließlich dazu, den Behandlern das Portemonnaie zu füllen. Dieses diskreditierende Argument der Geldmacherei neben dem der fehlenden Heilungsabsicht führt dazu, dass auch die medizinischen Institutionen wie die Krankenkassen und Ärztekammern dieselbe Meinung vertreten.
Witzigerweise wird diese Argumentation von Leuten vertreten, bei denen der Verdacht nahe liegt, dass sie damit von eigener Geldmacherei ablenken wollen, beispielsweise den doppelten Diagnostiken und der sehr teuren Gerätediagnostik. Es gibt sogar Ärztekammern, die für Fortbildungen im ästhetischen Bereich keine Fortbildungspunkte vergeben. Die Haltung der Kassen ist eindeutig, spielt doch die Diskreditierung ihnen geradezu in die Hände. Da mit ästhetischen Behandlungen keine Heilung einer Krankheit verbunden sei, wird eine Übernahme der damit verbundenen Kosten kategorisch abgelehnt. Ausnahmen sind unserer Kenntnis nach die Übernahme von Haarentfernungen bei Patienten, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben, sowie solche ästhetischen Behandlungen, die mit gängigen Krankheitsbildern assoziiert werden. Die Frage, ob die Haarentfernung nach einer Geschlechtsumwandlung als Heilung einer Krankheit angesehen werden kann, wird hier seltsamerweise nicht gestellt. Die Haltung der Medien kann als ambivalent bezeichnet werden: höchst selten gibt es informative Artikel zu verschiedenen ästhetischen Verfahren, aber es gibt sie. Die meist als Autoren verpflichteten Mediziner nutzen dann diese scheinbar objektiven Texte dazu, in erster Linie sich selbst und die Behandlungen zu verkaufen, die sie favorisieren.
In seriösen Gesundheitsmagazinen des TV findet eine Information von wenigen Ausnahmen abgesehen so gut wie nicht statt. Wenn überhaupt,dann allerhöchstens, um über ein neues Verfahren – meist kritisch – zu berichten. Weitere Sendungen sind noch nicht einmal im Gesundheitsbereich angesiedelt, sondern sie bedienen über das Vehikel der persönlichen „Patienten-Story“ eine ganz andere Zielgruppe, wobei dann eine ästhetische Behandlung die (Schein-)Lösung des Problems bringt: Beispielsweise leidet ein junges Mädchen unter kleinen Brüsten. Ihre Eltern schenken ihr zum 19. Geburtstag eine Brustvergrößerung, weil sie das Leiden ihrer Tochter nicht mehr länger mit ansehen können. Solche und ähnliche Stories sind reine Fiktion, weil in der Regel die dort präsentierten Kliniken und Ärzte im Tausch für Publizität die Behandlungskosten selber übernehmen. Die dritte Sparte veröffentlichter Meinung befasst sich mit Fehlbehandlungen. Nach dem Motto „Bad News Are Good News“ wird dann ein Einzelschicksal dokumentiert, wobei der behandelnde Mediziner fast immer ganz schlecht wegkommt, manchmal sogar zu Recht. Diese individuellen medizinischen Fehlbehandlungen führen dann aber dazu, dass alle anderen Behandler ebenfalls in diese negative Kritik einbezogen werden. Sensation verkauft sich eben gut und Sendungen sind Informationsware. Kurzum, will man die Haltung der Medien beschreiben, muss man feststellen, dass sie eigentlich keine klare Meinung haben, sondern statt seriöser Information der Boulevard die Szene beherrscht.
Als neue Macht etablieren sich gerade Portale und Bewertungsportale im Internet, bei denen oft ökonomische Interessen objektive Darstellungen oder Bewertungen behindern. Hinzu kommen diffuse, nicht klar beschriebene Ideologien innerhalb der Gesellschaft, die eine größere Akzeptanz der Ästhetik verhindern: Eine solche Hintergrundideologie wäre beispielsweise die, dass jeder Mensch an sich schön ist, so wie er ist und deshalb ästhetische Behandlungen kategorisch abzulehnen sind. Derartige Ideologien finden sich übrigens auf jeder Seite des politischen Spektrums, sowohl in konservativen Kreisen als auch bei den „modernen“ Konservativen mit „ökologischem“ Weltbild. Zusammenfassend kann hier festgestellt werden, dass ästhetische Medizin ausgehend von konservativen Medizinern gesellschaftlicher Ausgrenzung unterliegt, die dann ursächlich verantwortlich ist für den medialen Umgang mit diesem Thema. Ausgrenzung aber führt immer zu Privatisierung, und Privatisierung ist verantwortlich für die Auswüchse und Vorurteile, mit denen seriös arbeitende ästhetische Mediziner zu kämpfen haben. Die ganze Definition von ästhetischer und nichtästhetischer Medizin kann problematisiert werden. Die Trennung von rekonstruktiver und ästhetisch-plastischer Chirurgie ist rein willkürlich, wenn beispielsweise die Gesichtsrekonstruktion eines Verbrennungsopfers ganz eindeutig einer ästhetischen Verbesserung des Erscheinungsbildes dient. Wo hört hier rekonstruktiv auf und fängt ästhetisch an?
Auswirkungen der geringen gesellschaftlichen Akzeptanz auf die Identität des ästhetisch arbeitenden Mediziners
Wir können 2 Strategien ausmachen, wie die Mediziner mit der oben beschriebenen Realität umgehen: Die Erfahrenen und Erfolgreichen ignorieren den gesellschaftlichen Diskurs und konzentrieren sich auf ihre Tätigkeit, während insbesondere Anfänger mit Unsicherheit darauf reagieren. Beide Strategien führen nicht dazu, die Identifizierung zu stärken. Uneingeschränkte Identifizierung mit dem eigenen Arbeitsgegenstand jedoch ist eine unabdingbare Voraussetzung für die eigene Entwicklung im ästhetisch-medizinischen Bereich. Sie könnte dazu führen, die Akzeptanz der ästhetischen Medizin insgesamt zu erhöhen. Die These, dass die geringe Akzeptanz eine starke Identifizierung verhindert, mag Widerspruch hervorrufen.
Unserer Meinung nach hat jede Tätigkeit, die sich gegen einen gesellschaftlichen Konsens durchsetzen will, mit diesem Problem zu kämpfen, wobei dieser Konsens im Falle der Ästhetik nicht existiert. Im Falle der ästhetischen Medizin sollte allein deshalb nicht von einem ablehnenden Konsens ausgegangen werden, eher schon von einer Kontroverse, weil der ganze Umgang mit dem Thema Verschönerung sehr stark nach Doppelmoral riecht: Offiziell werden ästhetische Maßnahmen abgelehnt, in Wirklichkeit aber lässt man sie an sich durchführen. Das Problem existiert nicht nur in einer äußeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung, es existiert ebenso in einer inneren Auseinandersetzung quasi im Kopf des Mediziners, seinem inneren Dialog, mag er diesen nun bewusst gestalten oder die Widersprüche, die seine Identität berühren, lediglich unbewusst wahrnehmen. Auswirkungen auf seine Handlungen, und dazu gehört in diesem Zusammenhang auch die Kommunikation, hat diese innere Auseinandersetzung allemal. Wie es so schön heißt, macht der Mediziner eine widersprüchliche Erfahrung statt der Erfahrung eines Widerspruchs. Letzteres wäre nämlich angemessen. Alle weiteren Probleme, die sich für Mediziner in der Ästhetik darstellen, können auf diese Identitätsschwächung zurückgeführt werden.
Exkurs: Die historische Entwicklung der Ästhetik
Die Entwicklung der Ästhetik und die in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich gestiegene Nachfrage in diesem Bereich kann nicht losgelöst von gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen gesehen werden. Betrachtet man die Entwicklung seit dem Ende des zweiten Weltkriegs, ging es in den Nachkriegsjahren zunächst darum, die existentiellen Lebensfunktionen wiederherzustellen. Dieser Abschnitt ging über in die Phase des Wirtschaftswunders, in der vor allem „über die Stränge“ geschlagen wurde, was zu ersten ästhetischen Verwerfungen, insbesondere das Gewicht betreffend, führte. Die Zeit des Wirtschaftswunders wurde abgelöst von der 68er Generation, deren Erscheinen dazu führte, dass neben den politischen Veränderungen vor allem auch gesellschaftliche Vielfalt mit unterschiedlichen Lebensmodellen gesellschaftliche Akzeptanz erlangte.
Von der Wirtschaft wurde diese Entwicklung gierig aufgegriffen, weil sich durch Vielfalt der Konsum und damit auch der Profit steigern ließ. Die jüngeren Tendenzen in Folge der 68er Umbrüche zeigen eine Entwicklung zu immer stärkerer Individualisierung auf. Diese Entwicklung hat das gesamte Konsumverhalten beeinflusst, ja sie ist sogar Voraussetzung für ein in den Grundstrukturen unverändertes Fortbestehen unseres Wirtschaftssystems. Während es früher fast ausschließlich um die Funktionalität von Produkten ging, zählt heute in erster Linie das äußere Erscheinungsbild, was sich darin zeigt, dass jeder einfache Wasserkocher heute ein eigenes Design erhält, sonst bleibt er unverkäuflich. Die gesamte Wohnkultur, aber nicht nur sie, ist diesen gehobenen Ansprüchen an das Design unterworfen. Design kann nicht losgelöst von Ästhetik gesehen werden, sondern ist ästhetischen Gesetzen unterworfen. Die Gesellschaft hat sich kontinuierlich seit Ende des zweiten Weltkriegs immer stärker „durchästhetisiert“. In diesem Zusammenhang ist vor allem die ästhetische Medizin zu sehen: Wenn Ästhetik innerhalb einer sich ausdifferenzierenden Gesellschaft eine immer größere Bedeutung gewinnt, dann gilt dies auch für die äußere Erscheinung der Mitglieder einer Gesellschaft.
Die Designermarken und Kosmetika spiegeln diese Tendenz wider. Hierauf ist vor allem die gestiegene Anzahl ästhetischer Behandlungen zurückzuführen, trotz geringer gesellschaftlicher Akzeptanz. Aber täuschen wir uns nicht: Diese Entwicklung ist immer auch gekoppelt an wirtschaftliche Prosperität. Die Eurokrise war ein erstes Menetekel, wir sollten nicht davon ausgehen, dass wirtschaftliche Krisen, die dann die Menschen wieder auf ihre Grundbedürfnisse zurückwerfen, für alle Ewigkeit ausgeschlossen sind. Eine solche Entwicklung würde auch die Ästhetik tangieren. Einen Plan B für eine solche, manchmal ganz plötzlich einsetzende Veränderung in der Tasche zu haben, wäre in jedem Falle angebracht. Es ist von der konservativen Medizin und deren Institutionen zu fordern, dass sie den Realitäten ins Auge blicken, umzudenken beginnen und die Ausgrenzung beenden. Die gesellschaftliche Bedeutung der Ästhetik ist ein Fakt, der nicht zu ignorieren ist, mag man ihn nun persönlich gut heißen oder nicht. Das Beispiel der historischen Veränderungen im Umgang mit homosexuellen Partnerschaften kann die konservative Medizin lehren, dass unsere Gesellschaft unterschiedlichen Lebensmodellenden notwendigen Freiraum verschafft, mag man auch persönlich Homosexualität oder Ästhetik ablehnen oder als vielleicht sogar „abnorm“ definieren.
Lösungsansätze für eine Stärkung der Identität
Wenn allein das Bewusstsein über die beschriebene Identitätsverunsicherung ausreichte, das Problem wenigstens für den behandelnden Mediziner zu lösen, wäre dies schön. Leider jedoch ist dies nicht so, sonst wäre die Behandlung psychischer Probleme überaus einfach und über den Akt der Bewusstwerdung zu lösen, was sie heute noch nicht ist.
Was also ist zu tun?
Dieser Artikel soll lediglich Tendenzen aufzeigen, wie Identität gestärkt werden kann: Zunächst einmal ist es unbedingt notwendig, das Thema weiter zu reflektieren. Eine solche Reflexion setzt immer an der eigenen Person an: Wie wirkt sich die Identitätsschwächung in meiner eigenen Praxis und auf mich als Mediziner ganz konkret aus? Dies kann für jeden individuell verschieden sein, wie bereits angedeutet. Eine intensive Reflexion ohne Scheuklappen führt automatisch zu einer Identitätsstärkung. Zu dieser Reflexion sollte auch gehören, welches eigene Verhältnis zur Verschönerung der behandelnde Arzt hat, sieht er oder sie etwa auch die Ästhetik als „herumdoktern“ an der Oberfläche, dem schönen Schein an, als gar Verschleierung des Wesens einer Persönlichkeit? In diesen Zusammenhang gehört auch die Scham über das eigene Verschönerungsbedürfnis, die das gesellschaftliche Tabu persönlich erlebbar macht, obwohl die Veränderung der äußeren Erscheinung seit jeher Teil unserer menschlichen und sozialen Überlebensstrategie ist.
Ästhetische Medizin hat noch keinen Markenkern und keinen Markencharakter. Dies hat vielfältige Ursachen. Die Ausbildung ist außeruniversitär, meist in den Händen einzelner Unternehmen. Die Einrichtung ästhetischer Abteilungen in den Universitätskliniken dient nicht oder nur sehr marginal der Ausbildung kommender Ärztegenerationen, sondern soll die knappen Kassen füllen helfen. Das Argument der reiner Geldmacherei hat deshalb Bestand, weil sich die ästhetische Medizin noch nicht auf ethische Grundsätze geeinigt hat. Eine gemeinsame Charta aller Organisationen und Ärzte und eine unabhängige und produktneutrale Ausbildung wie sie die Globalhealth Academy und andere Organisationen seit Jahren erarbeiten, könnten erste Schritte hin zur Bildung eines Markenkerns sein.
Kurzum, die ästhetischen Mediziner könnten selbst eine ganze Menge dafür tun, dass sich das Erscheinungsbild im öffentlichen Bewusstsein ändert. Wir möchten hier die These vertreten, dass eine offensiv geführte Auseinandersetzung dazu führen kann, die geringe Akzeptanz zu erhöhen und gleichzeitig die eigene Identität zu stärken. Dies ist nur möglich, wenn ästhetisch arbeitende Mediziner kooperieren anstatt sich den Konkurrenzgesetzen des Marktes zu unterwerfen.
Dazu gehört, sich gegen die Ausgrenzung zur Wehr zu setzen, weil erst die Ausgrenzung zu den nicht zu leugnenden negativen Erscheinungsformen innerhalb der Ästhetik und zu ihrer Privatisierung führt. Beispielhaft soll hier die Auseinandersetzung mit der konservativen Medizin diskutiert werden. Dazu ist der Begriff „Heilung“ zu problematisieren. Heilung kann als ein prozesshaftes Geschehen beschrieben werden, dass sich auf einer Linie zwischen 2 Antipoden bewegt, nämlich Homöostase und Deregulation, umgangssprachlich mit den Begriffen „Krankheit“ und „Gesundheit“ beschrieben. Betrachten wir den Begriff Gesundheit: Bereits 1948 hat die Weltgesundheitsorganisation den Begriff folgendermaßen in der Präambel ihrer Verfassung definiert: „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“
Der Begriff des well-being, des sich Wohlfühlens, der Gesundheit definiert, kann uneingeschränkt auf die ästhetische Medizin angewandt werden. Ästhetische Medizin ist somit ein wichtiger Bestandteil eines Heilungsprozesses, denn sie bewirkt, dass sich Patienten besser fühlen. Diese Argumentation dürften sogar konservative Mediziner akzeptieren, wenn sie sich auf die Grundsätze der WHO berufen. Nicht die ästhetische Medizin sollte in der Defensive sein, sondern die konservative Medizin, denn sie ist nicht in der Lage, neue wissenschaftliche und theoretische Entwicklungen zu integrieren, ja nicht einmal ihre eigenen Definitionen ernst zu nehmen, z.B. den kartesianischen Dualismus zu beenden und endlich zu akzeptieren, dass Körper und Psyche nur 2 verschiedene Seiten ein und derselben Medaille sind.
Das Problematisieren eines statischen, rein symptombezogenen Krankheitsbegriffs, dessen alte Lösungsansätze zu einer einfachen Ursache-Wirkung Beziehung führen, wird heute in weiten Teilen der konservativen Medizin selbst durchgeführt, weil alle neueren wissenschaftlichen Forschungen gegen ein Festhalten an statischen Ursache-Wirkungsbeziehungen sprechen. Die „Pille gegen Kopfschmerz“ kann keinesfalls eine Heilung der hinter dem Symptom liegenden Problematik herbeiführen, dies ist mittlerweile jedem Mediziner klar. Ästhetische Mediziner, die eine Reflexion ihrer Identitätsschwächung durch die gesellschaftliche Kontroverse durchgeführt haben, sind in der Lage, diese notwendige Auseinandersetzung offensiv zu führen, und sie werden dadurch, dass sie diese Auseinandersetzung endlich führen, ihre Identität zu ihrem Gegenstand stärken.
Dieser kurze Argumentationsstrang kann durch eine weitere Sammlung von Argumenten viel intensiver aufgebaut werden, hier sollte lediglich eine Richtung aufgezeigt werden. Dasselbe gilt für die Auseinandersetzung mit der reinen „Geldmacherei“: In Zeiten, in denen Mediziner durch ein marodes Gesundheitssystem dazu gezwungen werden, neue Geldquellen zu erschließen, um das eigene Überleben zu sichern, in denen eine überbordende Kassenbürokratie immense Gelder der Versicherten verschlingt, dürfte es nicht schwer fallen, diese Argumentation zu finden.
Fazit
Die zukünftige ästhetische Medizin hat die Aufgabe, sich in die gesellschaftliche Auseinandersetzung einzumischen, denn sie hat wichtige Argumente zum gesellschaftlichen Diskurs beizutragen. Zielrichtung ist dabei der Kampf gegen gesellschaftliche Ausgrenzung, weil Ausgrenzung zur Verschärfung und Privatisierung der Problematik führt. Diese Aufgabe wird auch die Identität der ästhetisch arbeitenden Mediziner zu ihrer Tätigkeit stärken und deshalb das Verhältnis zu den eigenen Patienten positiv beeinflussen.
Dirk Brandl: Dipl.-Ing., Sprecher Globalhealth Academy for Aesthetic Medicine
Volker Schrader: Dipl.-Päd., Psychologe und Berater Globalhealth Academy
for Aesthetic Medicine
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