Originalie
Dirk Brandl, Margrit Lettko
Kontroversen in der ästhetischen Medizin: Die Rahmenbedingungen 7: Die soziale Macht der Schönheit
Controversies in aesthetic medicine: The frame conditions 7: the social power of beauty
Keywords | Summary | Correspondence | Literature
Keywords
attractiveness, attractiveness stereotype, morphing, sexual dimorphism, symmetry
Schlüsselworte
Attraktivität, Attraktivitätsstereotyp, Morphen, sexueller Dimorphismus, Symmetrie
Summary
Aesthetic medicine deals with the optimization of multiple factors, which are reflected by our fellows as „beautiful“ or „attractive“. Beauty therefore implies always a social importance and cannot be seen detached from social relations. At our mirror image we look first with the eyes of others. This demonstrates the social evidence of something fundamentally personal. Aesthetics will only be successful, if we can have a look behind the facade and understand, why people are wishing to become more attractive.
Zusammenfassung
In der ästhetischen Medizin haben wir es mit der Optimierung von vielfältigen Faktoren zu tun, die unser Gegenüber als „schön“ oder „attraktiv“ wahrnimmt. Schönheit hat immer eine soziale Bedeutung und ist nie losgel.st von den gesellschaftlichen Verhältnissen zu sehen. Unser Spiegelbild betrachten wir nicht nur mit unseren Augen, sondern vor allem auch mit den Augen der anderen. Dies zeigt die gesellschaftliche Bedeutung von etwas zutiefst Persönlichem. ästhetische Medizin kann nur dann erfolgreich arbeiten, wenn wir hinter die Fassade blicken und verstehen, warum Menschen attraktiver werden wollen.
Margrit Lettko1 und Dirk Brandl2
1 Dozentin Globalhealth Academy, Diplompsychologin, Ärztin für Allgemeinmedizin mit Schwerpunkt Ästhetik
2 Sprecher Globalhealth Academy für ästhetische Medizin
Aspekte der Globalisierung
Karl Marx charakterisierte unser Wirtschaftssystem als ein System, in welchem Arbeiter und Angestellte freigesetzt wurden, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen. Wenn es doch dabei geblieben wäre! Zwar ist der Warencharakter der Arbeitskraft nach wie vor die Grundlage unserer entwickelten Wirtschaftssysteme, und heute, im Zeitalter der Globalisierung mag diese Charakterisierung insbesondere noch zutreffen für die produzierende Industrie, die mittlerweile in die Exportproduktionszentren (EPZ) in China, Nordkorea oder Bangladesch ausgelagert ist [1]. Die Marketingabteilungen, die diese Produkte entwickeln und designen, den Bedarf wecken und uns Konsumenten davon überzeugen, sie zu kaufen, liegen nach wie vor in den Metropolen des Geldes in Europa und den USA. Und auch die Firmen, die die Produktion optimieren, finden sich noch immer in den Zentren der Macht. Wer hier arbeiten will, muss mehr verkaufen als nur seine Arbeitskraft oder Qualifikation.
Hier wird Persönlichkeit gekauft, und wer sich an diesen Fleischtöpfen niederlassen will, muss viel dafür tun, um attraktiv zu sein, also dem schönen Schein der Ware genügen.
Dies sind die ökonomischen Hintergründe, warum immer mehr Menschen sich damit beschäftigen, attraktiver zu werden. Attribute der Attraktivität können sehr vielfältig sein, je nachdem, wer uns betrachtet: Für den Chef einer Baufirma ist ein Arbeiter attraktiv, der Muskelberge sein eigen nennt, für den Chef einer Telefonmarketingfirma spielt das Aussehen so gut wie keine Rolle, dafür aber die Stimme umso mehr. Überall, wo direkter Kontakt zwischen Kunde und Verkäufer besteht, sind vielfältigere Attribute gefragt.
Aber wie funktioniert das, wenn wir jemanden als schön bzw. attraktiv bewerten? Worin sind die Gründe zu sehen, warum eine Person als attraktiv und eine andere als unattraktiv betrachtet wird? Mit diesen Fragen beschäftigt sich dieser Artikel. Catherine Hakim, Soziologin an der London School of Economics, hat vor kurzem das Buch „Erotisches Kapital, das Geheimnis erfolgreicher Menschen“ [2] herausgebracht. Grund dafür war ihre Erkenntnis, dass Attraktivität im öffentlichen Leben immer wichtiger wird. Unter erotischem Kapital versteht sie „eine schwer greifbare Mischung aus äußerer Schönheit, sozialer Attraktivität und Sex-Appeal, die manche Menschen besonders anziehend macht“ [3]. Bedeutung und Wert von erotischem Kapital würde enorm in unserer sexualisierten und individualisierten modernen Gesellschaft wachsen und sei ihrer Meinung nach nicht weniger wichtig als wirtschaftliches (Gut und Geld), kulturelles (was man weiß) und soziales Kapital (wen man kennt), wobei der Begriff „Kapital“ hier missverständlich benutzt wird. Letztlich sagt Hakim nichts anderes, als dass Attraktivität unsere wichtigste zwischenmenschliche Währung ist. Diese Aussage ist sicher richtig, auch wenn jeder durch seine eigenen Interessen geleitet den Filter Attraktivität wirken lässt.
Warum beeinflusst Attraktivität unser soziales Umfeld und uns selbst?
Wir wollen nur kurz einige Hinweise auf das „warum“ geben, die aber notwendig sind, um die einsetzenden Mechanismen bei der Begegnung mit einem attraktiven Menschen besser zu verstehen. Der größte Teil des Artikels beschäftigt sich damit, wie stark Attraktivität unser soziales Umfeld beeinflusst.
Dabei sollten wir unterscheiden zwischen der Erstwahrnehmung, die uns innerhalb der ersten 150 Millisekunden eine Antwort darauf gibt, ob wir jemanden als attraktiv wahrnehmen und weiteren Signalen, die wir im Prozess des näheren Kennenlernens verarbeiten. Obwohl sich die menschlichen Gesellschaften innerhalb der letzten 10.000 Jahre zivilisatorisch enorm entwickelt haben, besteht der Ersteindruck vor allem aus sehr instinktiven Feedbacks, die auf einen viel längeren Zeitraum der menschlichen Entwicklung verweisen und eigentlich zu unserer tierischen Natur gehören. Alle Attraktivitätsattribute erlauben es uns, eine Selektion zu betreiben, die auf den Mechanismen der Reproduktion aufbaut. Die unbewusste und instinktgeleitete Frage, die dabei eine Rolle spielt, ist die nach der Entwicklung des eigenen Genpools in eine vorteilhafte Richtung.
Die Wahrnehmung von Attraktivität scheint über alle Kulturen hinweg eine gemeinsame Basis zu haben, die für die Mehrzahl der Attraktivitätsforscher der Anlass war, eine Art angeborene Tendenz anzunehmen. Soziale Faktoren, bzw. gesellschaftliche Sozialisation sollen danach keine Rolle spielen. In diesem Zusammenhang muss man sich natürlich die Frage stellen, was „kulturübergreifend“ heißt? Im Zuge der Globalisierung gibt es kaum noch eine Kultur oder einen Landstrich, bei dem die westliche Kultur nicht schon als Exportware zu bemerken wäre. Wen wundert es also, dass westliche Archetypen von Schönheit mittlerweile überall anzutreffen sind?
Wann wird eigentlich ein Mensch als attraktiv beurteilt?
Die drei wichtigsten Theorien zur Attraktivitätsforschung sind die
- Durchschnittshypothese,
- Symmetriehypothese,
- und die Theorie des sexuellen Dimorphismus.
Wir möchten uns mit diesen drei Hypothesen insbesondere deshalb auseinandersetzen, weil auf Kongressen oder in Artikeln zur Ästhetik immer wieder auf sie zurückgegriffen wird. Falls ein ästhetisch arbeitender Mediziner daraus Rückschlüsse für seine Arbeit zieht, könnte er fatale Fehlentscheidungen treffen, denn:
Es gibt etliche Forschungsarbeiten zu diesen drei Theorien, die bei genauerer Betrachtung Widersprüche und methodische Mängel aufweisen. Keine der aufgestellten Theorien der Attraktivitätsforschung scheint die Attraktivität wirklich wissenschaftlich valide erklären zu können.
Ad 1. Durchschnittlichkeit
In der Attraktivitätsforschung gilt die These, dass Durchschnittlichkeit die Voraussetzung für Attraktivität ist [4]. Durchschnittlich bezieht sich hier auf den mathematischen Durchschnitt einer Population. Mit Hilfe einer Morphing-Software wurden mathematische Durchschnittsgesichter entwickelt und mit den Originalgesichtern verglichen. Daraus leiteten die Wissenschaftler die in der Attraktivitätsforschung noch heute gültige Durchschnittshypothese ab.
Bei näherer Prüfung der Studien fallen jedoch einige sehr markante Mängel auf, die sich einerseits auf die angewendeten Methoden beziehen, andererseits auch auf die zugrundeliegenden Hypothesen (es kann nur das gefunden werden, nach dem auch gefragt worden ist), die wir hier nur anreißen möchten und die Gründl [5] hervorragend herausgearbeitet hat. Auf diese Arbeit beziehen wir uns im Folgenden. Er belegt detailliert, dass die Aussage der Durchschnittlichkeit auf Falschannahmen beruht und demnach schlicht falsch ist. Wenn überhaupt, dann hat Durchschnittlichkeit nur einen geringen, nicht signifikanten Einfluss und das nur, wenn man die attraktiveren Gesichter morpht. Gründls Untersuchungen zeigen, dass der scheinbar große attraktivitätssteigernde Effekt der Durchschnittlichkeit auf Artefakte des Morphens selbst zurückzuführen ist. Durch die Bildverarbeitung kommt es zu einer besseren Hautbeschaffenheit. Makel werden kleiner oder gar nicht mehr sichtbar, die Haut wird glatter.
Die Beschaffenheit der Haut spielt bei der Beurteilung der Attraktivität eine bedeutende Rolle, was gut zu verstehen ist, schließlich ist makellose Haut ein untrügliches Zeichen für Gesundheit und vor allem für Jugendlichkeit. Je gesünder bzw. jugendlicher sich die Haut durch ihre Textur, Gleichmäßigkeit der Färbung und des Farbtones selbst darstellt, umso attraktiver wird die Person eingeschätzt. Durchschnittliche Gesichtsproportionen führen zu nichts anderem als zu einem mittelmäßigen Aussehen.
Ad 2. Symmetrie
Muss das Gesicht symmetrisch sein, damit es schön wirkt? Immerhin gilt Symmetrie als äußeres Zeichen von genetischer Gesundheit. Die Theorie der Attraktivitätsforschung besagt: Ist die äußere Gestalt symmetrisch, ist die Wahrscheinlichkeit von gesunden Genen deutlich größer und damit auch von überlebensfähigen Nachkommen [7].
Ob Symmetrie wirklich der einzige Indikator für genetische Qualität ist, mag im Augenblick dahingestellt sein. Es gibt viele Studien zur Symmetrie und Attraktivität, die je nach verwendeter Methodik unterschiedlich ausfallen. Gründl [5] konnte unter Berücksichtigung von bisherigen methodischen Mängeln aufzeigen, dass die Symmetrie-Hypothese als widerlegt angesehen werden muss. Vermeintliche Einflüsse von Symmetrie auf die Attraktivität von Gesichtern basieren nach ihm auf Methodenartefakten. Demnach ist Symmetrie (nicht die pathologische) als Attraktivitätskriterium völlig irrelevant. Attraktivität kann auch durch eine perfekte Optimierung der Gesichtsproportionen nicht gesteigert werden. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass attraktivere Gesichter vom Betrachter automatisch als symmetrischer wahrgenommen werden. Die Asymmetrie als solche, falls sie nicht extrem ist, wird überhaupt nicht zur Kenntnis genommen.
Ad 3. Sexueller Dimorphismus
Die folgenden Ausführungen berufen sich wiederum auf Gründl [5]. Sexueller Dimorphismus bedeutet, dass attraktive Gesichter besonders geschlechtstypisch aussehen, also typisch feminin bzw. typisch maskulin.
Die Kindchen-Schema-Hypothese, wonach Zeichen eines Kindes zur Attraktivität der Frau gehören, ist eng verwandt mit dieser Hypothese. Der theoretische Hintergrund der Hypothese „Sexueller Dimorphismus“ ist in der Evolutionspsychologie zu suchen. Hohes Testosteron bedingt danach starke Ausprägung von sekundären männlichen Geschlechtsmerkmalen, aber auch hohe Krankheitsanfälligkeit, da Testosteron das Immunsystem unterdrückt, was bisher nur bei Tieren festgestellt, nicht jedoch bei Menschen nachgewiesen werden konnte. Da eine hohe Krankheitsanfälligkeit für die Fortpflanzung nicht besonders vorteilhaft wäre, wird jetzt die Handicap-Hypothese herangezogen. Danach würden es sich nur besonders gesunde, mit einem genetisch bedingten fähigen Immunsystem ausgestattete Männer leisten können, solche sekundären Geschlechtsmerkmale auszubilden (Immunkompetenz-Handicap- Hypothese). Bei Frauen hingegen soll ein niedriger Testosteronwert von Vorteil sein, da daraus eine verminderte Krankheitsanfälligkeit hervorgeht.
Der gleiche Marker, das Testosteron, wird also geschlechtsabhängig bewertet, was nicht für die Stimmigkeit der Hypothese spricht. Damit die Hypothese trotzdem stimmt, wird dann der Östrogenspiegel der Frau und die daraus sich ergebenden weiblichen Geschlechtsmerkmale herangezogen. Hoher Östrogenspiegel = weibliche Geschlechts(= G esichts)merkmale = bessere Fruchtbarkeit.
Empirische Befunde zur Aussage, dass männliche Gesichtsmerkmale bei Männern deren Attraktivität steigern, sind je nach angewendeter Methode (anthropometrische Messung, experimentelle Manipulation mittels Computer, direkte Ratingskalen) sehr unterschiedlich. Das spricht mit großer Wahrscheinlichkeit für methodische Artefakte. Gründl [5] vermutet einen möglicherweise kurvilinearen Zusammenhang zwischen männlichen Gesichtszügen und Attraktivität. Dafür sprechen auch die unterschiedlichen Aussagen der Frauen, die mal Machos, mal Softies bevorzugen. Die typisch kindlichen Merkmale sind, mit einigen Ausnahmen, deckungsgleich mit den weiblichen Merkmalen, weshalb viele Untersuchungen das Kindchen Schema zugrunde legen.
Der Vergleich der bisherigen Studien wie auch der von Gründl neu konzipierten Experimente zeigen, dass die Hypothese des sexuellen Dimorphismus wohl nur für die Frauengesichter gilt. Frauengesichter, die dem Kindchen Schema angenähert wurden, wurden als attraktiver bewertet, wenn der Anteil 40 % nicht überschritt.
Laut Cunningham [9] ist es die Mischung aus Kindlichkeit und Reife, die weibliche Schönheit anziehend macht. Das Reifezeichen, das hier eine Rolle spielt, ist die Höhe der Wangenknochen sowie das Abschmelzen des Wangenfettes und der dabei entstehende Wangenschatten – dieses Mischungsverhältnis ist allerdings variabel und ändert sich je nach Persönlichkeit, Anforderung oder Zeitgeist.
Der weniger attraktive Mann scheint ebenso von kindlichen Zügen zu profitieren, der schon als attraktiv bewertete Mann dagegen nicht. Es kommt beim Mann wohl eher auf die Mischung von kindlichen und maskulinen Merkmalen an. Soweit zu den drei Hypothesen der Attraktivitätsforschung.
In unserer Praxis der Anwendung bzw. Begleitung ästhetischer Therapien können wir mit diesen drei Hypothesen nichts anfangen. Sie sind in keinem Fall dazu geeignet, uns bei unserer Tätigkeit zu unterstützen. Wir möchten deshalb hier unsere Erfahrungen aus der Praxis heraus darstellen.
Attraktivität ist nach unserer Erfahrung eindeutig mit Jugendlichkeit verbunden. Diese Aussage ist zwar auf der einen Seite trivial, auf der anderen Seite ist es gerade das, was uns für unsere Arbeit interessiert. Es ist nicht die von den Patienten so nachdrücklich hervorgehobene Falte, die so „störend“ wirkt, sondern es sind Merkmale, die sich aufgrund der veränderten Knochenstruktur, der Fettreduktion in bestimmten Teilen des Gesichtes und der Hautveränderung ergeben. Es gibt die für uns typischen Altersmerkmale, zum Beispiel den Volumenverlust im Mittelgesicht oder umgekehrt die Volumenzunahme der Hängebäckchen.
Hier setzen wir an. Wir versuchen, dem Gesicht die Merkmale der Jugendlichkeit zurückzugeben. Kein plastischer Chirurg nähert bei einem Facelift das Gesicht dem Durchschnitt an, sondern den herausragenden Merkmalen der Jugendlichkeit und damit der Vitalität. Weder Durchschnitt noch Symmetrie noch sexueller Dimorphismus sind attraktiv, sondern Jugendlichkeit, wobei der Terminus Jugendlichkeit nicht suggerieren soll, dass wir empfehlen, ältere Menschen zu Jugendlichen zu transformieren. Was wir wollen ist, durch ästhetische Eingriffe die Zeichen des Alters zu mildern, und deshalb bemühen wir uns, alle altersbedingten Veränderungen zu reduzieren. Schönheit und Jugend stehen in enger Korrelation zueinander. Ein glattes, durch ein Facelift sehr gestrafftes Gesicht bekommt durch den Eingriff nicht unbedingt eine höhere Attraktivität, wenn nicht auch gleichzeitig andere Altersmerkmale ausgeglichen werden. In diesem Zusammenhang trifft es sich gut, dass M. Kerscher gerade (Kosmetische Medizin 6/14) eine Untersuchung zu mit Fillern behandelten Patienten vorgestellt hat, die genau diesen Link zur Jugendlichkeit aufzeigt.
Die wichtigsten Kennzeichen des jugendlichen Gesichtes
Wenn wir die ästhetischen Therapien richtig einsetzen wollen, benötigen wir eine genaue Kenntnis darüber, welche Zeichen oder Attribute uns denn den Eindruck von Jugendlichkeit vermitteln. Zur Beschaffenheit der Haut hatten wir bereits wichtige Hinweise gegeben. Die Beschaffenheit der Haut ist zwar wichtig, aber mit glatter Haut ist man noch lange nicht schön.
Die „Superschönen“ haben große Augen (eher der Augenöffnungsgrad), höhere Augenbrauen, betonte Wangenknochen, kleine Nase, volle Lippen (Zeichen der Jugend, nicht des Kindes), grazile Kiefer- und Kinnpartie. Nicht alle Zeichen des Kindchen Schemas erhöhen die Attraktivität, so z. B. die Pausbacken des Kindes. Attraktive Gesichter brauchen den Wangenschatten.
Es gehört auch noch eine weitere Zutat hinzu: Die so genannten Ausdruckszeichen. Freundliches Lächeln, weite Pupillen, hohe Augenbrauen, durch die eine Botschaft übermittelt wird: Hier kommt ein Freund [9]. Wir lesen etwas in Gesichter hinein, auch wenn dieses Attribut in Wirklichkeit nicht vorhanden ist. Menschen mit einer starken Zornesfalte z. B. oder vertiefter Merkelfalte entfachen Gefühle in uns, vor denen wir uns nicht schützen können. Unsere Einschätzungen auf Grundlage dieser Gefühle passieren blitzschnell.
Der Wahrnehmungspsychologe Todorov [12] nimmt aufgrund seiner Untersuchungen mit 3D-Gitternetz – mathematisch kodierten Gesichtern an, dass diese Gesichter mit zufälligen negativen Merkmalen automatisch mit Gesichtern verglichen werden, die diesen Gefühlsausdruck in sich tragen. Er spricht von „overgeneralization“. Todorov hat auch herausgefunden, dass die Wahrnehmung von Vertrauenswürdigkeit eng mit der Wahrnehmung von Attraktivität gekoppelt ist. Renz [6] schreibt: „Wer glücklich aussieht, lässt bei uns die Vertrauenssaite klingen, und wer als vertrauenswürdig wahrgenommen wird, wird auch als anziehend empfunden“.
Die Mischung für Attraktivität ist also Kind, Frau / Mann und Freund, und zwar für beide Geschlechter. Schönheit ist aber mehr als die Summe ihrer Teile. Die eigentliche Schönheit ist ein Produkt unseres Gehirns und damit unserer Erfahrungen. Die ersten 150 Millisekunden, die uns entscheiden lassen, ob wir ein Gesicht als attraktiv oder unattraktiv bewerten, wären ohne die Gestaltwahrnehmung nicht möglich. Die Wahrnehmungspsychologie hat uns dazu bereits in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts wichtige Hinweise gegeben. Wir sind in der Lage, etwas ganzheitlich wahrzunehmen (Figur-Grund Beziehung), was wir für alle koordinatorischen und sensomotorischen Fertigkeiten benötigen. Es entsteht ein mentales Bild, das auf groben Verallgemeinerungen beruht. Dabei spielt alles, was wir wahrnehmen, eine Rolle. Wenn jemand eine warme, weiche Stimme hat, entsteht ein anderes mentales Bild, als wenn jemand eine piepsige Stimme hat. Es ist unsere Schöpfung, hervorgegangen aus unseren Erfahrungen. In diesem Zusammenhang möchten wir natürlich auch auf den Artikel von Frank et. al. in der Kosmetischen Medizin 6/14 verweisen, die eine genauere Beschreibung der holistischen Gesichtserkennung detailliert nach den neuesten neurobiologischen Studien dargestellt haben, die naturgemäß weit über die Erkenntnisse der Wahrnehmungspsychologie der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts hinausweisen.
Die gesellschaftliche Signifikanz der Attraktivität
Mag auch der erste Eindruck durch unsere instinktiven Reproduktionsmechanismen gesteuert sein, es gehört weit mehr dazu, auf längere Sicht auf andere Menschen attraktiv zu wirken. Mit dem ersten Eindruck haben wir nur die erste Schwelle überwunden, mehr nicht.
Betrachten wir zunächst die Auswirkungen von Attraktivität. Bernd Guggenberger, Professor für politische Wissenschaften, sagt: “Der Schöne lebt in einer anderen Welt; ihn umgibt ein Faraday’scher Käfig sozialer Hegung und fürsorglicher Begehr“. Und weiter: „Schönheit verkörpert soziale Macht in ähnlich reiner Unmittelbarkeit wie sonst nur noch die rohe Körperkraft.“ Schönheit sei ihrem Wesen nach zutiefst undemokratisch und verstieße aufs Gröbste gegen unser Empfinden für Gerechtigkeit. Was wir verdienen, soll verdient sein. Die Schönheit sei eines unserer letzten Tabus und ein großes „Ärgernis in der Epoche der Egalität“ [13]. So gesehen kann man Schönheit nur noch als Skandal betrachten, mit der schon ganz früh einsetzenden Erfahrung der sozialen Macht der Attraktiven.
Ergebnisse der Attraktivitätsforschung
Attraktive Menschen werden in vielen gesellschaftlichen Bereichen, sozialen Situationen, ja sogar in persönlichen Interaktionen bevorzugt. Dies legen uns zu mindestens zahlreiche Studien nahe, die Einzelaspekte untersucht haben. Wir möchten hier einige der Studien in kürzerer Form benennen, ohne zu sehr ins Detail zu gehen, weil diese Studien unsere Arbeit in der Ästhetik kaum beeinflussen. Was wir dazu lediglich erinnern sollten, ist die Tatsache, dass Menschen aus gutem Grund ihre Attraktivität steigern wollen.
Attraktivitätsstereotyp
In der Vergangenheit gab es viele Studien zu der provokanten Frage: Ist schön auch gut? Ihre Ergebnisse waren sich ziemlich ähnlich. Den Attraktiven wurden mehr Fähigkeiten und bessere Charaktereigenschaften zugesprochen oder angedichtet, und zwar unabhängig vom Geschlecht sowohl der Bewerteten als auch der Bewerter. Je attraktiver eine Person ist, umso mehr gute Eigenschaften hat sie (Attraktivitätsstereotyp). Es ist definitiv besser, schön bzw. attraktiv zu sein, denn es zahlt sich schon in der Kindheit aus. Schöne haben einen deutlichen Vorsprung, bekommen mehr Aufmerksamkeit und mehr Geduld entgegengebracht.
Von Kindesbeinen an
Aufgrund einer Metaanalyse schloss Langlois [14], dass attraktive Kinder und Erwachsene nicht nur positiver beurteilt werden als unattraktive Kinder und Erwachsene – selbst von denen, die sie kennen, sondern dass sie auch positiver behandelt werden. Solche Urteile gehen auch in die Interaktion von Mutter und Kind ein. Mutterliebe ist demnach nicht absolut und nicht immer bedingungslos [15].
Intelligenz
Fast alle Studien in der Vergangenheit haben gezeigt, dass die attraktiveren Menschen im Vergleich zu den weniger attraktiven auch als kompetenter und intelligenter wahrgenommen werden. Am stärksten ist diese stereotype Macht, wenn so gut wie keine relevanten Informationen bezüglich der Kompetenz und der Intelligenz vorliegen. Diese stereotype Einschätzung führt dann zwangsläufig dazu, dass solche Menschen auch anders behandelt werden, ohne dass sich die Handelnden darüber bewusst wären [16].
Soziale Kompetenz
Das Entgegenkommen der Umwelt hat nachhaltigen Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit und die sozialen Kompetenzen und scheint sogar deren intellektuelle Entwicklung zu beschleunigen. Der kumulative Einfluss von derartigen positiven Interaktionen muss Spuren in der Persönlichkeit und in der sozialen Kompetenz hinterlassen.
Karriere
Attraktive Bewerber haben bei Einstellungen die besseren Karten und kommen auch später schneller auf der Karriereleiter nach oben [17]. Schon Markus Möbius und Tanya Rosenblatt von der Harvard Universität haben 2004 experimentell gezeigt [18], dass die Attraktiveren klar bei der Einstellung und beim Gehalt bevorzugt wurden, wobei das bessere Auftreten der Attraktiveren auf höhere soziale Kompetenz zurückzuführen war und deren bessere kommunikativen Fähigkeiten. Laut Hakim scheint der Geschäftswert von erotischem Kapital zu steigen und steigt um ein Vielfaches, wenn zusätzlich noch ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital vorhanden ist. Wer Geld hat, kann sich eine schöne Frau oder einen schönen Mann leisten. Die Wahrscheinlichkeit, dass solche Verbindungen auch Kinder mit überdurchschnittlichem erotischem Kapital zeugen, muss größer als in anderen Verbindungen sein. Der Gedanke, dass sich dadurch auf lange Sicht auch biologisch manifestierte Klassenunterschiede entwickeln, ist nicht von der Hand zu weisen. Bei der Bewerbung für eine Führungsposition wird bei Frauen allerdings schnell das Stereotyp „Weibchen“ herausgeholt – „weich, wenig Durchsetzungskraft“. Die Wirtschaftswoche empfiehlt deshalb ihren Leserinnen sogar maskuline Ausrüstung.
Status und Gehalt
Gerade im Bereich der Arbeit scheint sich der Einflussfaktor Attraktivität zunehmend zu festigen. Je mehr Dienstleistung erwartet wird, um so wichtiger wird dieser Faktor. Der Attraktivitätsvorsprung aus der Kindheit bleibt auch im weiteren Leben erhalten. In den Chefetagen sind die Großen unter sich. Mehr als 90 % der Manager in den führenden deutschen Firmen sind 1,80 m und größer. Fast 50 % misst über 1,90 m. Der Durchschnittsmann ist 1,77 m. Bei Männern scheint Körpergröße wichtig zu sein, wenn es um die Position und um das Einkommen geht [19], bei Frauen spielt dies wohl keine Rolle. Eine Größe von 1,91 m bei Männern und 1,60 m bei Frauen gilt als die beste Voraussetzung für berufliches Vorankommen. Das schönste Drittel der Männer verdient 5 % mehr, bei Frauen 4 %. [17].
Das Wirken des Attraktivitätsstereotyps scheint sich zwar nicht auf Erste-Eindruck-Situationen zu beschränken, ist hier aber am mächtigsten. Je besser wir jemanden kennen, desto geringer wird das Gewicht des Stereotyps. Wer mit einem angenehmen Äußeren gesegnet ist, hat schlichtweg mehr Bonität. Wir leben in einer von Schönheit dominierten Klassengesellschaft, nur wir merken es nicht oder wir wollen es nicht wahrhaben.
Der ästhetische Eingriff
Hammermesh [17] hat sich die Frage gestellt, ob wir etwas für unsere Schönheit tun können. Er beantwortet sie mit einem Nein. Aus einem hässlichen Entlein würde auch durch die beste Kosmetik und das schönste Kleid keine schöne Prinzessin. Was die Natur uns mitgibt, sei ausschlaggebend. Jeder schönheitsbezogene chirurgische Eingriff stünde in keinem Verhältnis zum Ergebnis, vorausgesetzt, es handelt sich nicht um die Beseitigung von extremen pathologischen Veränderungen.
Dieser Aussage ist bedingt zuzustimmen. Patienten sehen nach einem chirurgischen Eingriff oft nur anders, aber nicht unbedingt attraktiver aus. In vielen Fällen müssen zusätzliche Therapien folgen wie Hautverbesserung, Volumenauffüllung, Reduzierung von überm..iger Mimik. Was wir mit unserer Arbeit des ästhetischen Mediziners erreichen, ist die Initiierung eines psychischen Prozesses. Der behandelte Patient verändert sein Selbstbild positiv und fühlt sich glücklicher und selbst attraktiver. Die Folge ist ein höheres Selbstvertrauen und eine sich daraus entwickelnde gesteigerte Attraktivität. Dadurch initiieren wir einen mit positiven Merkmalen belegten Prozess. Schon Heckmann et al. [20] zeigten 2003 auf, dass BTX A behandelte Personen von ihrem Gegenüber entspannter und glücklicher eingeschätzt wurden. 2008 gingen Alam M et al [21] noch einen Schritt weiter, indem sie hypothetisierten, dass der durch das Pharmakon hervorgebrachte Gesichtsausdruck auch die Gefühle des Behandelten beeinflussen würde (facial feedback hypothesis). Übersetzt heißt dies, dass ein bei uns künstlich hergestellter Gesichtsausdruck nicht nur unsere Gefühle selbst beeinflusst (Rückkopplung beim Sender), sondern dass dieser aufgrund des Nachahmungsreflexes (Spiegelneuronen!) beim Gegenüber ebenfalls zu einem entsprechendem Gesichtsausdruck führt und ebenfalls durch Rückkopplung zu einer entsprechenden Gefühlsveränderung seinerseits (Empfängerrückkopplung).
Dieser beidseitige Feedbackmechanismus kann dazu führen, dass man seine Welt positiver wahrnimmt, aber es führt auch dazu, dass man die entsprechenden Emotionen schwerer erkennt, z. B. bei der Behandlung der Glabella die Gefühle von Ärger [22].
Schlussfolgerungen
Die hier zitierten Untersuchungen befassen sich mit Ergebnissen, die alle einen winzigen Ausschnitt eines Gesamtbildes der Attraktivität einer Person beleuchten, mehr nicht. Unser Gesamtbild ist sicher von vielen anderen Faktoren abhängig und natürlich auch nicht zuletzt von unserem eigenen Bewusstsein, dass sich entweder von Bildern beherrschen lässt oder aber diese beherrscht und die eigenen Reaktionen kritisch hinterfragt. Wir sollten deshalb akzeptieren: Attraktivität ist eine Entscheidungsprämisse und beeinflusst jedes Individuum.
Die ästhetisch arbeitenden Mediziner sollten sich unserer Meinung nach nicht von Studien einer vermeintlichen Ästhetik leiten lassen, sondern sich mit den individuellen Gegebenheiten des Patienten befassen. Das Ziel ist die Rückkehr zu den Attributen von Jugendlichkeit und damit Vitalität. Lassen Sie sich ein Bild des Patienten mitbringen, das ihn 10 Jahre jünger zeigt und arbeiten Sie die Veränderungen ab. Leider treffen wir auch auf Patienten, die man als Opfer des Schönheitswahns bezeichnen muss. Mit diesen werden wir uns im nächsten Artikel beschäftigen. Ästhetische Medizin kann unserer Ansicht nach durch ihre Tätigkeit zur Entwicklung von egalitären Gesellschaften beitragen. Ästhetische Mediziner jedoch sollten sich des Ziels ihrer Eingriffe stärker bewusst werden, wenn sie diese Entwicklung aktiv beeinflussen wollen.
Fotos: © Volker Schrader, Lightworks-Gallery
Korrespondenz-Adresse
Dipl.-Ing. Dirk Brandl
Mühlenstraße 19
D-48317 Drensteinfurt
brandl@network-globalhealth.com
Literatur
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8. Braun M, Gründl C, Marberger C ,Scherber C (2001) Beautycheck – Ursachen und Folgen von Attraktivität. Projektabschlussbericht. Zu bekommen unter www.beautcheck.de.
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