Originalie
Volker Schrader
Plädoyers für eine Erweiterte Medizin Teil 8: Zur Legitimität der ästhetischen Medizin
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Die Bedeutung des sozialen Stoffwechsels bei der Entstehung von Krankheiten habe ich bereits in einem früheren Artikel [1] diskutiert.
Ein grundsätzlicher Zusammenhang ist auch in der Wissenschaft unbestritten.
Dieser soziale Anpassungsprozess und die Fähigkeit zur Selbstregulation dieses Stoffwechsels sind die entscheidenden Größen für ein gesundes Leben mit gesunder Resilienz.
Die Anpassung erfolgt an die spezifische Umwelt. Diese ist sowohl global als auch historisch verschieden. Der Charakter der spezifischen gesellschaftlichen Verkehrsformen determiniert die konkreten Austauschprozesse zwischen Individuum und Gesellschaft. Kulturelle Werte und Normen spielen dabei eine zentrale Rolle.
Kleider machen Leute
Dieser Slogan gehört in der Zivilisation zur Selbstverständlichkeit. Der Grad von Hygiene, Kleidung, Frisur und des Aussehens ist ein Zeichen für eben die Kultiviertheit einer Gesellschaft. Mode- und Kosmetikindustrie sind emsig damit beschäftigt, vielfältige Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen und weiterzuentwickeln. Das kommt ohne Manipulation nicht aus.
Da gibt es Männer- und Frauendüfte usw. usf. ohne, dass es dazu irgendeine objektive Voraussetzung oder sogar Kriterien gäbe, aber es erweitert die Produktpalette und den Umsatz, und nur darauf kommt es an. Es ist weiterhin kein Zeichen von Kultiviertheit, in jeder Saison neue Kleider zu erwerben, eher ein Zeichen für die notwendige Zirkulation des Kapitals.
Seitdem der Mensch für die Befriedigung seiner existenziellen Bedürfnisse nicht nur seine Arbeitskraft, sondern sogar sich selbst verkaufen muss, steht er sich selbst als Objekt gegenüber mit den verheerenden Konsequenzen, die das auf seine psychische und physische Gesundheit hat.
Das alles kann uns gefallen oder missfallen, aber es ändert nichts an der Notwendigkeit der Anpassung an diese Verhältnisse. Es heißt andererseits aber auch nicht, dass man diesen Verhältnissen unterliegen muss. Dieser Anpassungsvorgang ist eine Notwendigkeit und sollte nicht Bestandteil einer Identität werden. Das wäre nämlich der Ausdruck einer Unterwerfung.
Das sich Verkaufen ist eine Handlung, eine notwendige Strategie, wie die Erstellung eines Bauplanes für die Errichtung des Eigenheims, eine Fähigkeit, keine Identität.
Wird dieser Vorgang der Anpassung zum wesentlichen Moment des Lebens, können wir dessen pathologische Auswirkungen bestens an den vielen skurrilen Casting Shows studieren.
Das menschliche Elend – was dort produziert wird an psychischem Sadismus – ist kaum noch zu ertragen. Die TV-Formate zeigen nur pointiert, womit wir alle zu kämpfen haben – und dieser Kampf kostet uns sehr viel. Deshalb gehört zum Thema Attraktivität auch immer das Thema Alter, weil dann die Hinterlassenschaften des täglichen lebenslangen Kampfes am deutlichsten zu sehen sind. Deshalb legt ästhetische Medizin verstärkt den Fokus auf altersbedingte Veränderungen der Haut und der Konturen mit dem Ziel, die durch den Kampf verloren gegangene Vitalität durch Initiierung von Feedback Schleifen zurückzugewinnen (außen und lokal behandeln – sich besser fühlen – auf die Umwelt anders wirken – andere Feedbacks erhalten – sich noch besser fühlen – vitaler wirken…).
Fähigkeiten der Anpassung erwerben – nicht Identität beugen
Alle diese negativen Auswirkungen der Konvergenz des menschlichen Lebens in eine Warenform sind schrecklich, und die extremsten Perversionen dieses Prozesses können wir an den bemitleidenswerten Figuren, die aus den Operationssälen der ästhetischen Medizin in Hollywood und anderswo hervortreten, beobachten. Das alles macht Dr. Frankenstein alle Ehre, aber dient mitnichten der Gesundheit (und schon gar nicht der Schönheit). Bei Google sind zuhauf Zerr-Bilder dieser A, B und C Promis zu sehen.
Aber warum sollen wir wegen dieser Auswüchse eine ästhetische Arbeit an uns selbst insgesamt verurteilen? Das wäre Bilderstürmerei.
In dieser Radikalität geschieht das auch selten, denn auch die „alternative Szene“, die grüne Bewegung pflegt und kultiviert sich (mittlerweile). Sie folgt einem leicht abgewandelten ästhetischen Ideal und einer daraus folgenden alternativen Ideologie. Demzufolge gibt es einen sehr großen Markt für Naturprodukte in Mode und Schönheitspflege: Jute statt Plastik, Calendula statt Hyaluron usw.
Auf der Höhe der Zeit sein zu können, im Existenzkampf zu überleben mit den besagten Fähigkeiten zur Anpassung (d.h. des Verkaufs an die Umwelt) wird zum Faktor für Gesundheit.
Die Adaption der ästhetischen Werte einer Gesellschaft ist deshalb ein Ausdruck normativen Verhaltens und in der heutigen Zeit äußerst pluralistisch entfaltet. Wir sind also weit entfernt von einer Uniformität früherer Gesellschaften. Dies hat oft auch eine negative Seite, nämlich die identitäre Anpassung an Kleingruppen bzw. Peer Groups, bei denen mit diesen Merkmalen Zugehörigkeit bzw. Ausschluss bestimmt werden, die – wie die Tattoo Mode zeigt – wiederum neue Uniformität erzeugen, obwohl genau das Gegenteil, nämlich größere Individualität, geplant war.
All diese Auswüchse sind Zeichen von Überproduktionskrisen in der Wirtschaft und werden von diesen auch noch gefördert.
Das ist sicherlich zu bekritteln, aber es schließt eine gesunde Pflege des Körpers und Schönheit/Attraktivität nicht aus. Das Behaupten eines „natürlichen“ Schönheitsideals ist sogar ein notwendiger Kontrapunkt auf dem pathologisch- narzisstischen Markt der Eitelkeiten.
Schönheit kann auch mit zahlreichen Naturprodukten gepflegt und hergestellt werden. Dazu gibt es aus allen Kulturen in der Geschichte zahlreiche brauchbare Überlieferungen, die wir uns Schritt für Schritt wieder aneignen.
Wie weit darf in diesem Zusammenhang eine ästhetische Korrektur vorgenommen werden?
Meiner Meinung nach ist es durchaus zulässig und selbstverständlich, Schäden der Harmonie oder der Alterung, Behinderungen und Verletzungsfolgen zu beseitigen bzw. zu korrigieren bis hin zur plastischen Chirurgie. Damit stehe ich sicher in dieser thematisch auf Ästhetik orientierten Zeitschrift nicht allein. Es ist im Rahmen einer ethisch fundierten Medizin statthaft, Folgen von problematischen und ungesunden Lebensführungen zu korrigieren, wenn man sie überwunden hat.
Wer von der Adipositas befreit wurde, darf doch die Hinterlassenschaften auf seiner Haut korrigieren. Vorausgesetzt, er hat die Befreiung von den Gewichten nicht über den Weg ungesunder Diätprogramme erreicht. Die Pille zum Abnehmen ist genauso eine Illusion wie die Pille gegen Depressionen. Hierbei wird nichts verbessert oder gesünder. Hierbei wird Einfluss auf den chemischen Stoffwechsel in den Gehirnen genommen. Aber zu kontrollierten Interventionen in den Gehirnen ist die Menschheit nicht in der Lage. Seine Tätigkeit ist derart komplex, dass ein Eingriff zu sofortiger Dysregulation führt.
Identitätsveränderungen
Problematisch wird es dort, wo Persönlichkeit, Charakter und Identität verändert werden sollen, ausschließlich mit dem Ziel besserer Verkaufbarkeit.
Gut, wer einen solchen Job hat, muss wohl in den sauren Apfel beißen, aber mit adäquater Gesundheitspflege hat dies nichts mehr zu tun. Moralische Zeigefinger sollten in diesem Zusammenhang allerdings vermieden werden. Das Leben ist vielfältig und an der nächsten Straßenecke werden die Moralapostel von ihren eigenen Sünden wieder eingeholt.
Geht es also letztlich darum, inwieweit welche Interventionen die Grenze der Gesundheit überschreiten?
Grundsätzlich gilt, dass eine (ästhetische) Intervention in den Körper einen Angriff auf diesen darstellt. Das Einführen von Substanzen, die Entfernung von Gewebe und eben auch jede Operation fordert das Immunsystem heraus und schwächt den Energiehaushalt. Diese meist mit Entzündungen verbundenen Prozesse werden bei vielen ästhetischen Interventionen ja geradezu benutzt, um z.B. Haut und Gewebe wieder zu straffen.
Neben der klassischen ästhetischen Therapie, die in der Regel über Operationen verlief, haben sich – wie jedem Leser bekannt – seit einigen Jahrzehnten minimal invasive ästhetische Therapieformen entwickelt.
Gebündelt und standardisiert wurden sie vom Netzwerk Globalhealth für ästhetische Medizin und publiziert in den Artikeln zur Kompositorischen Ästhetik [2].
Die Standardisierung ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal für diese Art der Intervention, weil dieser Bereich nicht grundsätzlich zur Ausbildung eines Arztes gehört. Erfahrungsaustausch und Studien als Grundlage einer Orientierung hierbei sind natürlich wünschenswert und sogar notwendig.
Die ausgewogene Entscheidung liegt in der Verantwortung des Patienten, er muss einen gesunden Weg zwischen schädlicher Intervention und gesundem Ergebnis seiner Vorhaben austarieren. Hilfreich wäre es, von objektiver Stelle einen Rat einzuholen, sprich: Einen fähigen Arzt zu konsultieren, dessen Fokus auch darauf gerichtet sein muss, den Interventionsgrad der Behandlung möglichst niedrig zu halten.
In jüngster Zeit sind einem Patienten das Gesicht und beide Hände transplantiert worden. Zugegeben, ein extremes Beispiel. Der Patient hatte durch Brandverletzungen diese Körperteile verloren und war extrem entstellt. Die Operation war sicherlich eine mächtige Herausforderung, aber entscheiden sie selbst. War sie nicht irgendwie gerechtfertigt?
Schäden und Harmoniestörungen des Körpers können schon sehr ärgerlich sein, und es ist sicherlich legitim, diese zu korrigieren. Aber wer seinen Körper monatlich zum ästhetischen Chirurgen schleift, übertreibt auf pathologische Weise und macht seinen Körper damit vor allem nicht glücklich.
Zur Pflege und Nachsorge gibt es eine Reihe von natürlichen Mitteln in der Kosmetik, die genutzt werden können, und diese Ausrichtung wird immer mehr von den aufgeklärten Patienten eingefordert.
Innen und Außen, Lokal und Systemisch – Anti Aging Medizin muss zukünftig beides behandeln
Zu den minimal invasiven Interventionen der Schönheitskorrektur gehören unter anderem: Der Einsatz von Fillern, Botulinum Behandlungen, Needling, Mesotherapie, Laserepilation und hautverbessernde Laser, Cryolipolyse, PRP (Plättchen reiches Plasma), Radiofrequenz und die Injektionslipolyse, vor allem, wenn sie im Zusammenhang mit dem Nano PPC durchgeführt wird, das zugleich extrem heilende Wirkungen impliziert.
Überhaupt lässt sich Anti Aging auch durch andere Formen der Therapie realisieren, nämlich systemisch. Jede Therapie, die auf die Erneuerung der Mitochondrien zielt (Flächenlaser, PPC-Infusionen, Orthomolekulare Medizin usw.), schafft Anti Aging Effekte, Entgiftungskuren, diätetische Programme und auch die Behandlung des Mikrobioms geraten immer mehr in den Behandlungsfokus. Ein weiteres Segment sind Behandlungen mit dem Ziel, die Telomere zu verlängern.
Gesunde Ernährung, kein Alkohol und Zigaretten gehören zum Kernwerkzeug jeder Therapie der Verschönerung.
Im ganzen Schönheitsbereich gilt: Auch hier sind keine Engel unterwegs, sondern Menschen mit Geschäftsinteressen. Jeder sollte also selbstbewusst, aber auch kritisch an die Sache herangehen, desto zufriedener werden alle zum Schluss sein.
Den ein oder anderen Leser meiner Artikelserie zur Extended Medicine mag es verwundern, dass für mich auch die ästhetische Medizin dazugehört. Aus der Perspektive betrachtet, dass Gesundheit mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit, gehört ästhetische Medizin unbedingt dazu und keinesfalls ausgeschlossen; aus der Perspektive der Lehre ebenfalls, weil sie nicht standardisiert in den Universitäten gelehrt wird, aber dennoch einen großen Bereich medizinischer Tätigkeit abdeckt.
Korrespondenz-Adresse
Volker Schrader
Diplompädagoge
volkerschrader@gmx.net
Conflict of Interests
Der Autor ist Berater des Netzwerk Globalhealth.
Literatur
1. Schrader V: Über die ursächliche Bedeutung des sozialen Stoffwechsels bei der Entstehung von Krankheiten. KosMed 2022; 43: 75 – 77.
2. Der vom Netzwerk Globalhealth benutzte Begriff der Kompositorischen Ästhetik beschreibt eine neue Philosophie der ästhetischen Medizin. Er wurde in einer neunteiligen Artikelreihe in der Zeitschrift Kosmetische Medizin publiziert. Leser, die ein Interesse an dieser Reihe haben wenden sich bitte an Dirk Brandl, brandl@network-globalhealth.com