Übersichtsarbeit


Arzneimittelbedingte Veränderungen an Haaren – eine Übersicht

Drug-induced changes on hair and nails – a review

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Schlüsselworte

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Summary

The human hair follicle is regulated by local and systemic factors. Various medical drugs can affect hair growth, color and structure. These changes can have a strong negative impact on quality of life and may cause an interruption or abrogation of necessary treatments. The knowledge of these drug-related adverse events, their prevention and treatment are reviewed.

Zusammenfassung

Der humane Haarfollikel wird durch regionale und systemische Faktoren reguliert. Verschiedene Arzneimittel können Haarwachstum, -farbe und -struktur beeinflussen. Dies kann die Lebensqualität negativ beeinträchtigen und zu Unterbrechungen oder Abbrüchen notwendiger Therapien führen. Die Kenntnis möglicher Arzneimittelnebenwirkungen am Haar, ihre Prävention und Therapie werden in dieser Übersicht dargestellt.


Einleitung

Haare stellen spezifische Endprodukte der Haarfollikels dar. Bei den Haaren sind Lanugo-, Vellus- und Terminalhaare zu unterscheiden. Die Gesamtzahl der Haarfollikel eines Menschen wird auf ca. 5 Mio geschätzt. Die Follikelaktivität des Menschen verläuft zyklisch (Anagen, Katagen, Telogen) aber nicht synchronisiert [1]. Der Follikel ist eine komplexe Struktur aus verschiedenen Epithellagen und der dermalen Papille [2]. Der Einfluß der Sexualhormone auf den terminalen Haarfollikel ist offensichtlich. Zusätzlich erfolgt eine lokale Regulation durch das weiße dermale Fettgewebe und die Zellen des angeborenen Immunsystems (Mastzellen, γδ T-Lymphozyten, NK-Zellen sowie Makrophagen [3, 4].

 

Arzneimittel-induzierte Haarveränderungen

Diese können die Wachstumsdynamik, Haarstruktur und Haarfarbe betreffen. Die häufigsten arzneimittel-bedingten Veränderungen betreffen einen teilweisen oder kompletten Haarverlust, wie er bei der klassischen Chemotherapie aber auch beim Einsatz oraler Retinoide auftreten kann (Tab. 1).

 

Zytotoxische Medikamente können ein toxisches atrophes telogenes Effluvium induzieren (Abb. 1). Typisch ist der rasch einsetzende Haarverlust, der mit einer Verdünnung des Haarschaftes einhergehen kann. Beeinträchtigt werden Stammzellen der äußeren Haarscheide des Haarfollikels. Im Falle der Retinoide wurde eine Hochregulierung von Tumor Growth Factor-beta 2 in der dermalen Papille beobachtet [5].

Abb. 1: Anagenes Effluvium unter Chemotherapie.

Beim anagenen Effluvium sind  das dystrophe anagene Effluvium und das Loose Anagen Hair Syndrome zu unterscheiden. Die ausfallenden Haare zeigen im Gegensatz zum telogenen Effluvium noch pigmentierte Bulbi. Taxane können eine Apoptose unter den Transient Amplifying Cells der äußeren Haarwurzelscheide induzieren [6].

 

Die Alopecia areata-artigen Veränderungen sind eher selten zu beobachten. Die Unterbrechung von Signalwegen – etwa von Interleukin 4 und 13 durch Dupilumab – ist daran beteiligt [7].

 

Eine vernarbende Alopezie kann in Folge einer destruierenden Follikulitis nach Chemotherapie auftreten (Abb. 2) und ist irreversibel [8].

Abb. 2: Vernarbende Alopezie nach destruierender Follikulitis.

Das Wiederwachsen des Haupthaares ist ein seltenes Ereignis. Es wurde unter anderem nach Duplimumab und extrakroporaler Photochemotherapie in Kombination mit Interferon alfa 2 beobachtet [9, 10].

 

Unter einer Hypertrichose versteht man ein exzessives Haarwachstum. Gut bekannt ist dieses Phänomen unter Ciclosporin A, Phenytoin, Isoniazid oder Minoxidil (Abb. 3a & b). Der Mechanismus ist nicht vollständig geklärt, doch nimmt man an, dass Ciclosporin A die Anagenphase fördert durch Proliferationsanregung der Matrixzellen und die Katagenphase inhibiert [11].

Abb. 3a+b: Hypertrichose. (a) Faziale Hypertrichose nach Phenytointherapie. (b) Generalisierte Hypertrichose nach Ciclosporin A.

Tritt bei Frauen ein vermehrtes Wachstum der Körperbehaarung mit einem männlichen Behaarungstyp auf, spricht man von Hirsutismus. Hierfür verantwortlich sind Hormone wie Glukokortikoide, Testosteron und andere Substanzen [12].

 

Bei der Trichomegalie ist das Haar kräftiger, länger und stärker pigmentiert als gewöhnlich. Am häufigsten sind die Wimpern betroffen. Ursächlich können hierfür Inhibitoren des epidermalen Wachstumsfaktor-Rezeptors oder topische Prostaglandine sein [13]. Letztere prolongieren die Anagenphase [14].

 

Strukturveränderungen des Haarschaftes sind nicht selten nach Abschluß einer Chemotherapie zu finden. Unter den Strukturveränderungen ist die Ausbildung von Locken am häufigsten. Dagegen ist der Wechsel zu glattem Haar sehr ungewöhnlich [15, 16].

 

Änderungen der Haarfarbe können Teile des Hauthaares oder das komplette Haupthaar betreffen. Letzteres ist bei blonden Haaren unter Dithranoltherapie im Sinne einer grünlichen Verfärbung auffällig. Unter Chemotherapie kann sich schwarzes Haar in eine rötliche Verfärbung entwickeln [17, 18].

 

Eine Aufhellung der Haare kann durch Tyrosinkinasehemmer induziert werden. Die gleiche Substanzgruppe kann jedoch auch ein Ergrauen auslösen. Topische Prostaglandinhemmer führen selten zur Poliose der Augenbrauen [19].

 

Prävention und Therapie arzneimittel-induzierter Haarveränderungen

Die wichtigste Präventionsmaßnahme des durch eine Chemotherapie induzierten Haarausfalles stellt die Kühlung der Kopfhaut auf unter 24 Grad Celsius dar. Die Applikation der Kälte erfolgt 30 min vor, während und bis zu 90 min nach Chemotherapie. Die umfangreichsten Erfahrungen gibt es beim Mammakarzinom. Dabei kann bei ca. 40% der Patientinnen die Alopezie verhindert werden [20, 21].

 

In einer Phase-I-Studie zeigte sich topisches Calcitriol 2 x täglich als gut tolerierbar, sicher und dazu in der Lage, den Haarausfall bei 65% der Frauen in Taxan-Chemotherapie zu reduzieren [22].

 

Minoxidil wird zur Therapie einer medikamentös-induzierten Alopezie empfohlen [23]. QR 678 ist eine experimentelle Lösung zur intrakutanen Injektion bei Alopezie infolge Chemotherapie. Sie besteht aus einer Mischung biomimetischer Moleküle, die humane Wachstumsfaktoren wie VEGF, basischer FGF, IGF-1, Thymosin beta 4 u.a.m mit Hilfe pflanzlicher Peptide nachahmt [24]. In einer klinischen Studie wurden 20 Tumorpatienten mit persistenter chemotherapie-induzierter Alopezie mit insgesamt 8 Injektionen im Abstand von 3 Wochen therapiert. Nach 6 Monaten und bis zu einem Jahr wurde eine merkliche Verbesserung der Haardichte beobachtet [25].

 

Beim medikamenten-induzierten Hirsutismus ist zunächst zu prüfen, ob die verantwortlichen Medikamente entbehrlich sind. Die medikamentöse Behandlung setzt Antiandrogene ein. Eine Laser-Epilation kann ergänzend angeboten werden [12].

 

Strukturveränderungen des Haares können sich zum Teil spontan langsam wieder normalisieren. Gleiches gilt für Farbänderungen, doch dazu braucht es seine Zeit.

 

In Zukunft könnte die gezielte Beeinflussung des weißen dermalen Fettgewebes neue Optionen in der Prävention und Therapie arzneimittel-induzierter Haarveränderungen liefern [26].

Korrespondenz-Adresse

Prof. Dr. Uwe Wollina
Klinik für Dermatologie und Allergologie
Städtisches Klinikum Dresden
Akademisches Lehrkrankenhaus
Friedrichstrasse 41
DE-01067 Dresden
Uwe.Wollina@klinikum-dresden.de

Literatur

1. Orfanos CE, Happle R (Eds) Hair and Hair Diseases. Berlin – Heidelberg: Springer 1990.
2. Wollina U. Histochemistry of the human hair follicle. EXS. 1997; 78:31-58.
3. Nicu C, O'Sullivan JDB, Ramos R, Timperi L, Lai T, Farjo N, Farjo B, Pople J, Bhogal R, Hardman JA, Plikus MV, Ansell DM, Paus R. Dermal adipose tissue secretes HGF to promote human hair growth and pigmentation. J Invest Dermatol. 2021; 0022-202X (21)00008-7. doi: 10.1016/j.jid.2020.12.019. Epub ahead of print.
4. Muneeb F, Hardman JA, Paus R. Hair growth control by innate immunocytes: Perifollicular macrophages revisited. Exp Dermatol. 2019;28(4): 425-431.
5. Foitzik K, Spexard T, Nakamura M, Halsner U, Paus R. Towards dissecting the pathogenesis of retinoid-induced hair loss: all-trans retinoic acid induces premature hair follicle regression (catagen) by upregulation of transforming growth factor-beta2 in the dermal papilla. J Invest Dermatol. 2005;124(6): 1119-26.
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12. Hafsi W, Badri T. Hirsutism. 2020 Aug 26. In: StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2020 Jan–. PMID: 29262139.
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