Übersichtsarbeit
Friedrich Anderhuber, Ulrike Pils
Der knöcherne Schädel*
The bony skull
Keywords | Summary | Correspondence | Literature
Keywords
Cranium, neurocranium, skull, viszerocranium
Schlüsselworte
Cranium, Neurocranium, Schädel, Viszerocranium
Summary
The bony skull (cranium) consists of up to 30 bones and can be anatomically divided into two large parts: the facial skull (viscerocranium) and the cerebral skull (neurocranium). The viscerocranium comprises the bones that form the face; the cranium those that house the brain. Cranial sutures and the so-called fontanelles between the bones. On the underside of the skull are the inner and outer skull bases, which are characterized by passageways for nerves, arteries and veins.
Zusammenfassung
Der knöcherne Schädel (Cranium) besteht aus bis zu 30 Knochen und kann anatomisch in zwei große Anteile gegliedert werden: den Gesichtsschädel (Viszerocranium) und den Hirnschädel (Neurocranium). Der Gesichtsschädel umfasst dabei die Knochen, die das Gesicht formen; der Hirnschädel jene, die das Gehirn beherbergen. Schädelnähte und die sog. Fontanellen zwischen den Knochen. An der Unterseite des Schädels befindet sich die innere und äußere Schädelbasis, die von Durchtrittsstellen für Nerven, Arterien und Venen geprägt ist.
* Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der Publikation „Anatomie des Gesichts – Grundlagen für ästhetische Anwendungen. Erschienen bei gmc GmbH, Berlin 2019. ISBN: 978-3-9820717-0-1
Die Knochen des Gehirnschädels sind zum Teil paarig angelegt. Dazu zählen das Scheitelbein (Os parietale) und das Schläfenbein (Os temporale). Die unpaarigen Knochen des Gehirnschädels sind das Stirnbein (Os frontale), das Keilbein (Os sphenoidale) und das Hinterhauptsbein (Os occipitale). Die Entwicklung des Schädeldaches (Calvaria) erfolgt aus mesenchymalem Bindegewebe, weshalb beim Neugeborenen diese Knochen noch durch Bindegewebe miteinander verbunden sind (Suturen, Fontanellen). Dieses Bindegewebe verknöchert erst im Laufe des Lebens, zum Teil erst im Erwachsenenalter. Die Knochen der Schädelbasis dagegen liegen zunächst als Knorpelanlagen vor, die noch in der Fetalzeit durch Knochen ersetzt werden. Diese Knochen sind zunächst durch Knorpelgewebe miteinander verbunden (Synchondrosen), das großteils in den ersten Lebensjahren verknöchert.
Der Gesichtsschädel besteht aus dem Siebbein (Os ethmoidale), dem Nasenbein (Os nasale), dem Tränenbein (Os lacrimale), dem Jochbein (Os zygomaticum), dem Oberkieferknochen (Maxilla), dem Unterkieferknochen (Mandibula), dem Pflugscharbein (Vomer), der unteren Nasenmuschel (Concha nasalis inferior) und dem Gaumenbein (Os palatinum). Im klinischen Sprachgebrauch wird der Begriff „Gesichtsschädel“ über die genannten Knochen hinaus auf das Os frontale des Neurocraniums ausgedehnt.
Im Bereich des Gesichtsschädels befinden sich insgesamt 5 Höhlen: die beiden Augenhöhlen (Cavitates orbitales), die beiden Nasenhöhlen (Cavitates nasi) und die Mundhöhle (Cavitas oris).
Der Eingang der Augenhöhle (Aditus orbitae) wird oben vom Margo supraorbitalis begrenzt, der vom Stirnbein alleine gebildet wird. Der untere Augenhöhlenrand (Margo infraorbitalis) wird vom Os zygomaticum und vom Stirnfortsatz (Processus frontalis) der Maxilla gebildet. Der Processus frontalis maxillae trägt eine Knochenleiste, die Crista lacrimalis anterior. Unmittelbar dahinter befindet sich an der medialen Wand der Orbita das Tränenbein (Os lacrimale) mit der Crista lacrimalis posterior. Beide Cristae lacrimales begrenzen die Tränensackgrube (Fossa sacci lacrimalis), in der der Tränensack (Saccus lacrimalis) liegt. Am lateralen Rand der Orbita, dort wo Margo supra- und infraorbitalis aneinander stoßen, befindet sich die Sutura frontozygomatica. Oberhalb des Margo supraorbitalis findet man beidseits einen vor allem bei Männern oft deutlich ausgeprägten, bogenförmigen Wulst, den Arcus superciliaris. Zwischen diesen beiden Bögen und oberhalb der Nasenwurzel befindet sich eine Einsenkung, die als Glabella bezeichnet wird. Unmittelbar unterhalb der Glabella befindet sich die Sutura frontonasalis, die das Stirnbein mit den beiden Nasenbeinen verbindet. Seitlich davon befindet sich in der Mediopupillarlinie eine Einkerbung oder ein kleines Loch im Margo supraorbitalis, die Incisura supraorbitalis bzw. das Foramen supraorbitale. Hier tritt der Ramus lateralis des N. supraorbitalis, ein Endast des 1. Trigeminusnerven (N. ophthalmicus, N. V/1) aus (Trigeminusdruckpunkt). Etwas medial davon befindet sich die Incisura frontalis bzw. das Foramen frontale, an dem der Ramus medialis des N. supraorbitalis austritt. Etwa 0,5 – 1 cm unterhalb des Margo infraorbitalis befindet sich im Oberkieferknochen, ebenfalls in der Mediopupillarlinie, eine weitere Öffnung, das Foramen infraorbitale. Dies ist die Austrittsstelle des sensiblen Endastes des 2. Trigeminusnerven (N. maxillaris, N.V/2), des N. infraorbitalis (Trigeminusdruckpunkt). Lateral des Foramen infraorbitale befindet sich die Sutura zygomaticomaxillaris, die das Jochbein mit dem Oberkieferknochen verbindet. Die Grube unterhalb des Foramen infraorbitale wird als Fossa canina bezeichnet. Geht man von hier nach medial, so kommt man zur Öffnung der Nasenhöhle (Apertura piriformis). Diese wird von den beiden Stirnfortsätzen der Maxilla und von den beiden Nasenbeinen umgrenzt. Beide Ossa nasalia stoßen in der Sutura internasalis aneinander. Die Kreuzungsstelle der Sutura internasalis mit der Sutura frontonasalis wird als Nasion bezeichnet und ist ein wichtiger Messpunkt am Schädel. Im unteren Bereich der Apertura piriformis befindet sich der vordere Nasensporn (Spina nasalis anterior). Unterhalb der Apertura piriformis schließt der Alveolarfortsatz (Processus alveolaris) der Maxilla an, der die Zahnwurzeln der Oberkieferzähne enthält und sich dementsprechend beim Kind erst mit dem Durchbruch der bleibenden Zähne entwickelt bzw. beim zahnlosen Kiefer zurückbildet. An seiner Außenfläche sind den Alveolen entsprechende Vorwölbungen, die Juga alveolaria, sichtbar.
Im Bereich des Unterkiefers erkennt man in der Mittellinie einen Vorsprung, die Protuberantia mentalis, seitlich und etwas unterhalb davon befindet sich beidseits das Tuberculum mentale. Weiter lateral, unterhalb des 1. bis 2. Prämolaren, beziehungsweise in der Mediopupillarlinie, liegt das Foramen mentale, an dem der N. mentalis, der sensible Endast des 3. Trigeminusnerven (N. mandibularis, N.V/3) austritt (Trigeminusdruckpunkt).
In der seitlichen Ansicht (Abb. 2) fällt vor allem die große Fossa temporalis auf, deren mediale Wand als Planum temporale bezeichnet wird. Dieses setzt sich aus dem Scheitelbein, der Schläfenbeinschuppe (Squama ossis temporalis), dem großen Keilbeinflügel (Ala major ossis sphenoidalis) und einem Teil des Stirnbeins (Facies temporalis ossis frontalis) zusammen. Die Regio temporalis reicht nach oben bis zu den beiden Lineae temporales: die Linea temporalis inferior beginnt am Processus zygomaticus des Stirnbeins, verläuft bogenförmig über das Scheitelbein und biegt dann nach unten auf die Squama ossis temporalis und von hier nach vorne um. Die Linea temporalis superior beginnt ebenfalls am Processus zygomaticus des Os frontale, verläuft jedoch dann in einem größeren Bogen nach hinten. Sie ist die Anheftungsstelle der Fascia temporalis. Lateral wird die Fossa temporalis vom Jochbogen (Arcus zygomaticus) begrenzt, der zum Großteil vom Processus zygomaticus des Schläfenbeins und zu einem kleineren Teil vom Processus temporalis des Jochbeins gebildet wird. Diese beiden Knochenteile sind durch die Sutura temporozygomatica miteinander verbunden. Unter dem hinteren Abschnitt des Jochbogens befindet sich der Eingang in den äußeren Gehörgang (Porus acusticus externus).
Unmittelbar dahinter und unterhalb davon liegt der gut tastbare Warzenfortsatz (Processus mastoideus). Direkt vor dem äußeren Gehörgang befindet sich das Kiefergelenk (Articulatio temporomandibularis). Unterhalb des Kiefergelenks findet man den breiten Unterkieferast (Ramus mandibulae). Seine Form und Stärke sind vom Funktionszustand des Gebisses und der Kaumuskulatur abhängig. Der Ramus mandibulae endet oben mit zwei Fortsätzen: der hintere Fortsatz wird als Processus condylaris bezeichnet und trägt den Mandibulakopf (Caput mandibulae), der den Gelenkskopf des Kiefergelenks bildet. Davor befindet sich der Processus coronoideus und zwischen beiden Fortsätzen eine tiefe Einkerbung, die Incisura mandibulae. Der Unterkieferast geht am gut sicht- und tastbaren Kieferwinkel (Angulus mandibulae) in den Körper der Mandibula (Corpus mandibulae) über. Das Corpus mandibulae gliedert sich in einen unteren Abschnitt (Basis mandibulae) und einen oberen Teil (Pars alveolaris), der die Zähne des Unterkiefers trägt und sich- wie der Alveolarfortsatz des Oberkieferserst nach dem Durchbruch der Zähne entwickelt bzw. umgekehrt bei fehlendem Kaudruck am zahnlosen Kiefer zurückgebildet wird. Auch hier sind an der Außenfläche die den Alveolen entsprechenden Juga alveolaria erkennbar.
Im Allgemeinen lässt sich bei der Betrachtung des knöchernen Schädels ein eindeutiger Geschlechtsdimorphismus [1] nachweisen. Der Schädel des Mannes ist generell größer und schwerer als der weibliche Schädel. Zusätzlich findet man bei einem männlichen Schädel deutlicher ausgeprägte Knochenleisten an den Ursprungsstellen der Muskeln. Weitere geschlechtsdifferente Merkmale im Bereich des Gesichtsschädels sind beispielsweise eine bei der Frau nur sehr leicht betonte Glabella, ein sehr schwach ausgeprägter Arcus superciliaris und ein im Vergleich zum Mann scharfkantiger Margo supraorbitalis. Weiters steht das Os frontale beim weiblichen Schädel fast frontal, während es beim Schädel des Mannes leicht bis stark nach hinten geneigt ist.
Gehirn- und Gesichtsschädel wachsen nicht mit gleicher Geschwindigkeit. Wachstum und Gestaltung des Gehirnschädels sind weitgehend vom Wachstum des Gehirns abhängig und erfolgen daher bereits pränatal in stärkerem Ausmaß. Im Unterschied dazu folgt das Wachstum des Gesichtsschädels mehr dem allgemeinen Körperwachstum, also hauptsächlich postnatal. Somit hat der Gehirnschädel beim Neugeborenen bereits ein großes Ausmaß erreicht, während der Gesichtsschädel noch unverhältnismäßig klein ist (Verhältnis Gesichts- zu Gehirnschädel = 1 : 8). Die Ausbildung des Gesichtsschädels steht zum einen in engem Zusammenhang mit der Funktion des Kauapparates, sodass der Gesichtsschädel bis zum 8. Lebensjahr etwa die Hälfte seiner definitiven Größe und erst mit dem Durchbruch der bleibenden Zähne (Entwicklung der Alveolarfortsätze) allmählich seine endgültige Größe erreicht. Zusätzlich kommt es mit der Entwicklung der Augenhöhlen sowie der Nasennebenhöhlen zu einer Umgestaltung des Schädelskeletts. Die Kieferhöhlen (Sinus maxillares) etwa sind zwar beim Neugeborenen bereits angelegt, weisen aber hier nur die Größe einer Kaffeebohne auf, da der Platz für die Anlagen der bleibenden Zähne benötigt wird. Ihre endgültige Entfaltung erfolgt erst nach dem Durchbruch der bleibenden Zähne, sodass die tatsächliche Größe der Kieferhöhlen und damit die endgültige Form des Gesichtsschädels erst in der Pubertät erreicht werden.
Wie alle Knochen des Körpers erfahren auch die Schädelknochen im Erwachsenenalter weitere Veränderungen ihrer Form, die mitverantwortlich für den Alterungsprozess des Gesichts sind. So beschrieb bereits Bardeleben im 19. Jahrhundert [2], dass es mit zunehmendem Alter zu einer Abnahme der Höhe des Schädels und einer Zunahme seiner Breite kommen würde und insgesamt eine Atrophie des Gesichts entsteht. Auch in der neueren Literatur werden Veränderungen der Form des Gesichtsschädels beschrieben, die vor allem auf die zuvor bereits erwähnte Atrophie der Alveolarfortsätze nach Zahnverlust zurückzuführen sind, wodurch wiederum ein Verlust der Höhe des Schädels resultiert und die Konvexität des Gesichtsschädels abnimmt. Auch eine „Rotation“ der Knochen des Gesichtsschädels im Verhältnis zur Schädelbasis wird beschrieben. Dabei soll es zu einem „Nach-vorne-Kippen“ des oberen Orbitarandes und der Glabella und gleichzeitig zu einer Retraktion der Maxilla und der Apertura piriformis kommen [1, 3, 4].
Korrespondenz-Adresse
Dr.med. Ulrike Pilsl
Institut für Anatomie, MUG
Harrachgasse 21
AT-8010 Graz
ulrike.pilsl@meduni-graz.at
Conflict of Interests
Es besteht kein Interessenkonflikt
Literatur
1. Waldeyer A (2012) Anatomie des Menschen. Anderhuber F, Pera F, Streicher J (Hrsg) Aufl 19. de Gruyter, Berlin Boston.
2. Bardeleben K (1869) Handbuch der Anatomie des Menschen in acht Bänden. Bd 1, Aufl 2. Verlag von Gustav Fischer, Jena, S 263–264.
3. Rauber-Kopsch (1988) Anatomie des Menschen. Leonhardt H, Tillmann B, Töndury G et al. (Hrsg) Bd 1. Georg Thieme Verlag, Stuttgart New York.
4. Pessa JE (2000) An algorithm of facial aging: verification of lambro’s theory by three-dimensional stereolithography, with reference to the pathogenesis of midfacial aging, scleral show and the lateral suborbital trough deformity. Plast Reconstr Surg 106(2):479–488.